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Amtlich queer

Kann ein Aktionsplan das Leben von queeren Menschen erleichtern? Ideen hat die Bundesregierung auf jeden Fall genug – nun beginnt die Umsetzung.

Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, stellt in Berlin den Aktionsplans der Bundesregierung mit dem Titel "Queer leben. Für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt" vor.
Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, stellt in Berlin den Aktionsplans der Bundesregierung mit dem Titel "Queer leben. Für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt" vor. Foto: IMAGO / Metodi Popow

Die Regenbogen-Revolution kommt ziemlich bürokratisch daher: Mit dem Aktionsplan „Queer leben“ soll „auf Bundesebene eine ressortübergreifende Strategie für ein queerfreundlicheres Deutschland“ entstehen. Für die administrative Begleitung ist die Bundesservicestelle Queeres Leben zuständig, angesiedelt im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.

Alle Beiträge im Blog zu den Themen LGBTQAI+ und queeres Leben liest Du hier:

Na, noch dabei? Das ist gut. Denn hinter der drögen Fassade verbirgt sich ein ziemlich ambitioniertes Vorhaben. Sven Lehmann sitzt für die Grünen im Bundestag und hat den Aktionsplan im August 2022 vorgestellt, im November beschloss ihn das Kabinett. Als Queer-Beauftragter hat der 43-Jährige den Plan im Vorfeld mit allen Ressorts und auch mit queeren Vereinen abgestimmt. Nun geht’s an die Umsetzung.

Kern des Aktionsplans: Rechte und Teilhabe stärken

Aufgeteilt in sechs Handlungsfelder, enthält er „Empfehlungen für Maßnahmen“, mit denen die Bundesregierung das Leben und die gesellschaftliche Teilhabe von queeren Menschen verbessern will. Es geht um die Themen rechtliche Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Stärkung von Beratungs- und Community-Strukturen und Internationales. 

Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität soll verboten werden

Das Wort „Empfehlungen“ klingt vage, doch der Plan geht stellenweise sehr ins Detail. Etwa im Bereich der rechtlichen Anerkennung: So will die Ampel den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes um ein explizites Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität ergänzen. Dafür braucht sie jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat. 

Auch das Abstammungsrecht möchte die Bundesregierung anpacken. Ein Kind, das in die Ehe zweier Frauen geboren wird, soll zukünftig beide als rechtliche Mütter bekommen – und zwar automatisch.

Verbesserungen für trans Menschen und queere Geflüchtete

Das diskriminierende Transsexuellengesetz will die Ampel abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Trans- und Inter-Personen sollen für körperliches und seelisches Leid entschädigt werden, das ihnen in der Vergangenheit etwa auf Grundlage des Transsexuellengesetzes zugefügt wurde. 

Um queere Verfolgte besser zu schützen, könnte es Verbesserungen im Asylverfahren geben – etwa durch eine Überprüfung, wie wahrscheinlich Verfolgung bei einer Rückkehr ist. Weitere Ideen sind eine sicherere Unterbringung in Unterkünften und eine Rechtsberatung speziell für queere Geflüchtete.

Lesbisch im Alter, schwul im Gefängnis

Neben Schutzsuchenden aus dem Ausland nimmt der Aktionsplan zwei weitere Gruppen in den Blick, die sonst eher im Abseits stehen: alte Menschen und Inhaftierte.

Queere Menschen leiden im Alter häufiger unter Armut und Einsamkeit als heterosexuelle cis-Menschen. Vielen fehlt familiäre Unterstützung, deshalb sind sie stärker auf Pflege angewiesen. Doch in Wohn- und Pflegeeinrichtungen bleiben sie aus Angst vor Zurückweisung oft unsichtbar und verstecken ihre Identität. Die Bundesregierung will die Biographien und Bedürfnisse von älteren queeren Personen zukünftig stärker in den Blick nehmen, um Diskriminierung und Einsamkeit entgegenzuwirken. 

Auch die Situation queerer Menschen in Gefängnissen wird selten thematisiert. Dabei bilden sie eine besonders verletzliche Gruppe, leiden oft unter Gewalt und Ausgrenzung. Doch der Justizvollzug ist Ländersache; deshalb schlägt der Aktionsplan einen Bund-Länder-Gipfel vor, um über die Haftbedingungen von queeren Inhaftierten zu sprechen. Außerdem bringt er eine wissenschaftliche Untersuchung ins Spiel, die das Ausmaß queerfeindlicher Gewalt in Gefängnissen untersuchen soll.

Erfolgreiche Kampagne

Fast 90.000 Menschen haben die Petition von Andy Szabó auf WeAct unterschrieben. Auf der Petitionsplattform von Campact hatte er gefordert, die Diskriminierung von Männern, die mit Männern Sex haben, bei der Blutspende zu beendet. Nun hat er sein Ziel erreicht und die Petition beendet. Alle Infos zur Petition gibt es auf WeAct.

Viele Ideen, wenig Geld

Insgesamt dreizehn eng beschriebene Seiten mit Ideen, Handlungsempfehlungen und Vorschlägen – der Aktionsplan ist ein ehrgeiziges Vorhaben. Einen ersten Erfolg gibt es bereits. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat im Januar angekündigt, das Transfusionsgesetz zu ändern. Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sollen bei der Blutspende zukünftig keine Rolle mehr spielen, es zählt lediglich das persönliche Risikoverhalten.  

Wie viele Erfolge es am Ende werden, ist auch eine finanzielle Frage. Nur weil im Aktionsplan Ideen formuliert sind, heißt das nicht, dass der Bund auch zusätzliche Gelder bereitstellt. Fallen Kosten an, sind die „von den betroffenen Einzelplänen innerhalb der geltenden Haushaltsansätze bei der Aufstellung des jeweiligen Bundeshaushalts zu decken“. Zu teuer darf die Gleichstellung also lieber nicht werden.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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