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„Frauen…“-was? Zwei Blicke auf den 8. März

Was machst du am 8. März? Ist es ein Feiertag für Dich? Ein Tag zum Kämpfen gegen das Patriarchat? Zum Traurigsein über den Sexismus und die Gewalt, die viel zu viele Frauen immer noch erleben? Oder ein Tag wie jeder andere? Zwei Campact-Campaignerinnen auf zwei Kontinenten haben sich dazu E-Mails geschrieben, die wir hier ungekürzt veröffentlichen.

Das Foto zeigt mehrere Frauen auf der Frauentagsdemo in München. Sie tragen ein breites Banner mit der aufschrift: "Frauenkampf ist Klassenkampf!"
Am Weltfrauentag, dem 8. März 2021 haben sich in München um die 1000 Menschen versammelt, um für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche, gegen den Gender-Pay-Gap, Sexismus und Femizide zu demonstrieren. Foto: IMAGO / Alexander Pohl

Berlin, 27. Januar 2023:

Vicky! Wie geht es Dir da unten in Australien? 

Berlin ist kalt und grau, aber ich freu mich schon auf den 8. März: Weltfrauentag, Frauen- und FLINTA*-kampftag! 

Wie viel Kraft und Lebensmut ich immer wieder tanken konnte am 8. März – sogar letztes Jahr, als Russland schon in die Ukraine eingefallen war und uns allen die Angst vor dem Krieg tief in den Knochen saß. Aber der 8. März ist der Tag, an dem wir uns stark fühlen können!

FLINTA* ist ein Akronym und steht für Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen – also für all jene, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität patriarchal diskriminiert werden. Das Gendersternchen soll jene Personen inkludieren, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber ebenfalls durch ihre Geschlechtsidentität in einer patriarchalen, heteronormativen Mehrheitsgesellschaft marginalisiert werden.

Meistens gehe ich erst zu Freundinnen zum Frühstücken, dann gehen wir zusammen zur Demo: Laufen Hand in Hand durch die Straßen, brüllen uns die Wut aus dem Leib über die vielen kleinen und großen Wunden, die uns das Patriarchat zufügt, jeden Tag: Nadelstiche aus Sexismus und Herabwürdigung und internalisierten falschen Ansprüchen und … so viel mehr. Am 8. März liegen wir uns lachend in den Armen, vergessen Konkurrenzdruck und Male Gaze. Wir nehmen uns die Straße und wir nehmen uns den Tag, wir rufen „Küche, Ehe, Vaterland – unsere Antwort: Widerstand!“ und „We‘re here, we‘re queer, we‘re fabulous, don‘t mess with us!“ 

Am 8. März denke ich an Clara Zetkin, an die Suffragetten und an all die vielen Frauen und Queers vor uns, die uns das Wahlrecht erkämpft haben und die Freiheit, so zu leben, wie wir sind. Ich denke auch an all die Frauen und Queers, die noch heute täglich ums Überleben kämpfen: in den kurdischen Bergen, in Iran und an so vielen Orten weltweit. Jin, Jiyan, Azadi: Für die Frauen, für das Leben, für die Freiheit! Dafür steht für mich der 8. März wie kein anderer Tag!

Ich hoffe, Du freust Dich auch schon? Wie wird Dein Frauen*kampftag?

Lara


Sydney, 31. Januar 2023:

Lara, wie schön von Dir zu hören! Ich bin jetzt seit drei Wochen in Australien, genieße die Sonne und komme langsam aber sicher im Alltag an. Als ich Deine Mail bekommen habe, habe ich erstmal nach Frauen*kampftag-Demos hier in Sydney gegoogelt – Fehlanzeige. Was es gibt, sind Treffen, bei denen Frauen(*?) zum Schnäppchenpreis von 100 Dollar Ratschläge anderer Frauen anhören „dürfen“… dazu gibt’s Frühstücke, Brunchs, Dinners für die gestärkte Businessfrau. Von Frauen*tag ist hier also erstmal wenig zu sehen – und vom Kampf noch weniger. Mein 8. März wird sich dann wohl im Büro abspielen. 

Ich muss gestehen, dass ich bei Deinen Schilderungen einen kleinen Stich im Herzen spüre:  Die Freude und die Verbundenheit, die Du beschreibst, klingen so schön, so verdient, so besonders – und fühlen sich für mich etwas fremd an. Wann hast Du angefangen, diesen Tag so zu feiern? Bevor ich 2018 nach Berlin gezogen bin, war ich nie bei einer Demo zum Frauen*kampftag. Die Solidarität und die Stärke, die Du am 8. März spürst, fühlt sich, wenn man nicht gerade in einer Großstadt lebt und progressive Freund*innen hat, so weit weg an. Für mich ist der 8. März darum ambivalenter: ein Kampftag, ja. Aber auch eine Erinnerung daran, wie weit weg wir noch davon sind, diese Stärke verinnerlicht zu haben und sie ausleben zu können. 

Im Gegenteil: Während FLINTA* ihre Stimmen entdecken und ihre Verbundenheit feiern, bringen sich so viele Teile der Gesellschaft in Stellung, ihnen diese Stimme wieder zu nehmen. Frauen* werden mundtot gemacht, geschlagen oder sogar ermordet, weil sie Frauen* sind. Ich denke, Misogynie ist der Klebstoff, der konservative, rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen gleichermaßen zusammenhält und ihnen neue Mitglieder zutreibt – ein kleinster gemeinsamer Nenner in der Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien.

Von Rechtsextremen, Incels, der millionenschweren Pick-Up-Industrie, Online-Trollen, bis hin zu im Parlament vertretenen Konservativen, die Kontrolle über den weiblichen Körper und „gottgewollte“ Rollenbilder einfordern, rollt hier ein schleichender Backlash an, für den die Unterdrückung von Frauen ein zentraler Baustein ist. Und kaum jemand schaut hin. Während ich das schreibe, frage ich mich, ob ich übertreibe; und dann frage ich mich, ob nicht genau dieser Gedanke ein großer Teil des Problems ist. Sehe ich Gespenster?

Vicky


Berlin, 3. Februar 2023:

Liebe Vicky,

bist Du sicher, dass es nicht doch noch etwas Besseres gibt in Sydney? Vielleicht ist die Ankündigung dafür versteckter, nur auf einem schlecht gelayouteten Plakat in einer kleinen linken Kneipe zu entdecken, oder bei einem Twitter-Account mit nur 150 Followern?

Ich gebe Dir recht: Der kämpferische, inklusive Wohlfühlfeminismus, den ich beschrieben habe, ist wahrscheinlich ein Berlin-Phänomen. Bevor ich, 25 Jahre alt, in die Hauptstadt gezogen bin, dachte ich, der 8. März ist für die meisten Menschen nur eine etwas weniger schlimme Version des Valentinstags: irgendwas mit Rosen. Dann gibt es noch die Frauen, die sowieso nie mit Männern rumhängen wollen, die treffen sich da nochmal ganz explizit unter sich. Verstaubte 70er-Jahre-Vibes. Inzwischen glaube ich aber: Auch in den Universitätsstädten, in denen ich vorher gewohnt habe, hätte es sicher tolle feministische Feste gegeben am 8. März – vielleicht nur ein gemeinsamer Kochabend, bei dem Männer den Abwasch machen müssen, oder eine Lesung über Alltagssexismus und Unsicherheiten oder …

Mehr Beiträge zu feministischen Themen kannst Du hier lesen: Themenseite Feminismus

Ich verstehe auch total, wenn Menschen, die 364 Tage im Jahr gegen das Patriarchat ankämpfen, weil sie bestimmten Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität oder Rollenmustern nicht entsprechen (wollen), dann am 8. März sagen: Ich organisiere heute nichts. Ich kämpfe heute nicht. Ich bleib einfach im Bett und schaue Serien. Oder setze mich in die Sonne und lese ein Buch. Aber aus meiner Erfahrung heraus – gerade im Vergleich zu der Zeit vor Berlin – lohnt sich die Mühe, sich am 8. März mit anderen Betroffenen, mit Gleichgesinnten zu verabreden.

Frag doch mal Freund*innen oder Kolleg:innen, was sie am 8. März machen! Ob sie von einem Event gehört haben oder Lust hätten, den Tag gemeinsam zu verbringen? Auch Männer können und sollten am 8. März Feminismus feiern können, finde ich! Wichtig ist natürlich, dass sie sich dabei nicht in den Mittelpunkt drängen und niemandem, besonders nicht weiblichen und queeren Personen, Platz wegnehmen. Das passiert ja sonst schon viel zu oft.

Ich sehe aber auch die Gefahr, die Du beschrieben hast: einen antifeministischen Backlash. Männer, die sich trauen, ihren Frauenhass wieder ganz offen auszuleben. Erst im Internet durch digitale Gewalt. Dann in der Familie, in ihren Partnerschaften und auf der Straße mit tätlicher Gewalt. Hier in Berlin gab es gerade erst einen versuchten Femizid. (Achtung, die Schilderung jetzt wird schlimm!)

Ein fremder Mann hat einer Frau auf offener Straße mehrmals mit einem Messer ins Gesicht gestochen. Sie hat überlebt, schwer verletzt. Der Täter ist flüchtig. Das heißt: Er läuft hier vielleicht noch durch die Stadt und geht auf Menschen los, weil sie Frauen sind? Diese Vorstellung macht mir echt Angst! 

Und Inken hat ja kürzlich erst im Blog geschrieben: Am aller gefährlichsten ist es für Frauen immer noch im eigenen Zuhause, durch sexistische Übergriffe und Gewalt in Ehe und Partnerschaften. Trotz aller feministischer Erfolge nimmt die Gewalt gegen Frauen weltweit sogar zu: Susanne Kaiser hat dazu gerade das Buch „Backlash“ veröffentlicht. Gruselig!

Ich bin mir sicher: Clara Zetkin, die Suffragette Emmeline Pankhurst und andere, die vor mehr als hundert Jahren für unsere Rechte gekämpft haben, wären die letzten, die gesagt hätten: Alles ist toll, lasst uns feiern! Aber darum geht es ja auch am 8. März: Dass wir eine Stimme finden, um zu benennen, was alles schiefläuft aktuell, was alles anders, was besser werden muss. Auch dafür kann dieser Tag da sein, finde ich!

Viele liebe Grüße

Und: lass uns das Ziel nicht aus den Augen verlieren, während wir den Problemen entgegentreten!

Lara 

Sydney, 8. Februar 2023

Liebe Lara,

der Fall, den Du schilderst, ist ja fürchterlich – ich hoffe, sie fassen den Täter bald! Einer meiner ersten Gedanken beim Lesen war: Was macht so eine Schlagzeile mit meinem Sicherheitsgefühl? Mein zweiter Gedanke war: Die Frage ist überflüssig – denn eine Welt, in der sich Frauen* mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Männer in der Öffentlichkeit bewegen, ist auch ohne Nachrichten von messerschwingenden Angreifern in weiter Ferne. Das merke ich, wenn ich mit Freund*innen spreche, die, wenn sie abends weggehen nicht anziehen, was sie eigentlich wollen, wenn sie danach Bus oder Bahn fahren müssen; sie haben am eigenen Körper erfahren, dass ein ausgeschnittenes Kleid auf manche als Einladung zur Belästigung wirkt. Oder mit Frauen*, die auf dem Nachhauseweg einen Umweg laufen, statt durch die schlecht beleuchtete Gasse zu gehen. 

Ich persönlich mag es überhaupt nicht, wenn (meist männliche) Freunde mich nach einem Treffen bitten, mich kurz bei ihnen zu melden, wenn ich gut Zuhause angekommen bin. Für mich ist diese Frage das Eingeständnis eines Versagens – ein kaum verstecktes Anerkennen, dass es Grund zur Sorge gäbe. Soweit ich weiß, wird mein Partner nie gebeten, sich zu melden, wenn er sicher daheim ist. 

Feedback und Anmerkungen liest die Redaktion unter: blog@campact.de

Und doch erkenne ich, dass sich etwas ändert. Dass die Verantwortung, mich frei und sicher bewegen zu können, nicht nur bei mir liegt. Zu sehen, wie Männer das Problem erkennen und ihre Rolle reflektieren, stimmt mich zuversichtlich: Diskussionen darüber, was es mit einer Frau macht, wenn man(n) im Dunkeln direkt hinter ihr läuft. Darüber, wie man(n) einschreiten kann, wenn man Zeuge eines Übergriffs wird. Und wie wichtig es ist, nicht stumm zu bleiben, wenn sich Freunde oder Bekannte sexistisch verhalten. Darum finde ich total wichtig, was Du schreibst: Der 8. März soll ein Tag für alle sein. Ein Anlass zusammenzukommen und uns auszutauschen. Probleme zu benennen – und Lösungen zu suchen. Und auch zu benennen: Feminismus ist nicht nur für FLINTA* da! Uns von überkommenen Geschlechterrollen, Erwartungen und Vorurteilen zu verabschieden, tut allen gut – erlaubt uns, uns selbst gegenüber ehrlich zu sein und unser Leben frei zu gestalten. Der Vibe gefällt mir deutlich besser als Rosen!

Letzte Woche habe ich eine Doku über den Arbeitskampf australischer Stahlarbeiterinnen in den 80ern gesehen – wie sich diese Frauen zusammengeschlossen haben und über Jahre hinweg einen der größten Stahlkonzerne Australiens gezwungen haben, Frauen gleichberechtigt zu beschäftigen, ist inspirierend. Zu sehen, was alles passieren kann, wenn wir uns organisieren, solidarisch sind, beharrlich sind, Raum einfordern. Uiuiui, ich merke schon, Du steckst mich ein bisschen an. Den Twitter-Account oder die linke Kneipe habe ich zwar nicht gefunden, aber ich schaffe mir einfach meinen eigenen kleinen Sydney-Frauen*kampftag: Freund*innen in Deutschland Sprachnachrichten schicken, Sookee (oder eine andere tolle Künstler*in) ganz laut aufdrehen und tanzend durch die Stadt! Virtuelle Verbundenheit schaffen, Gemeinschaft im Kopf. Also, wenn Du kannst: Schrei für mich mit!

Vicky

PS: Ich habe gerade „Men who hate women“ von Laura Bates fertig gelesen – eins der krassesten Bücher, das ich seit langem in der Hand hatte: Ein schonungsloser Blick in frauen*feindliche Communitys und eine konzise Analyse, wie misogyne Haltungen ihren Weg in den Mainstream finden. Mir fallen ganz viele Frauen* ein, denen ich das Buch schenken möchte – aber eigentlich wünsche ich mir, dass mehr Männer es lesen.

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Autor*innen

Lara Eckstein hat im Journalismus-Studium Interviews mit Überlebenden des Holocausts geführt und ist seitdem glühende Antifaschistin. Bei Campact arbeitet sie als Campaignerin vor allem zu Klimathemen; privat ist sie als stadtpolitische Aktivistin in Berlin im Einsatz. Hier bloggt sie zu Erinnerungspolitik und gegen das Vergessen. Alle Beiträge Victoria Gulde ist seit 2018 Campaignerin bei Campact. Als Teil des Kampagnen-Teams gegen Rechtsextremismus setzt sie sich gegen die Normalisierung rechten Gedankenguts ein. Sie hat Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Internationale Beziehungen studiert. Für den Campact-Blog schreibt sie über Gedenktage und die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur. Alle Beiträge

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