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Der Mann mit dem Hammer

Die Welt ist voll von queeren Held*innen. Corny Littmann ist einer von ihnen. Der Theatermacher und Ex-Präsident des Fußballclubs St. Pauli deckte 1980 mit nur einem Hammerschlag auf, dass der Staat schwule Männer bespitzelte.

Das Foto zeigt Corny Littmann im Alter von 27 Jahren. Er zerschlägt einen Spiegel in der Herrentoilette an der Haltestelle Jungfernstieg in Hamburg.
Corny Littmann zerschlägt einen Spiegel in der Herrentoilette am Jungfernstieg in Hamburg. Quelle: SPIEGEL Magazin Nr. 29, 1980, S. 81

Der Mann weiß, wie eine gute Inszenierung geht. Ein Hammer, ein gut ausgeführter Schlag und die Presse als Zeuge – schon zersplittert am 2. Juni 1980 der Spiegel auf der öffentlichen Toilette am Hamburger Jungfernstieg. Zum Vorschein kommt ein knapp vier Quadratmeter großer Raum; von hier aus bespitzelte die Polizei Männer, die auf der Toilette Sex mit Männern haben könnten. 

Damit ist bewiesen, was viele Schwule in der Hansestadt schon länger vermutet hatten: Die Polizei überwacht und erfasst sie, sammelt Daten und legt Akten an. Die Hammerschläge am Jungfernstieg und anderen Orten in der Stadt bringen Littmann und seiner Gruppe bundesweit Schlagzeilen ein – und beenden die Aktivitäten der „WC-Fahnder“, wie der Spiegel die polizeiliche Überwachung damals genüsslich nannte.

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Sie haben uns ein Gefühl geklaut

Corny Littmann ist zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt und kandidiert als Spitzenkandidat der Hamburger Grünen für den Bundestag. Sein politisches Engagement begann jedoch schon früher. Als Aktivist ist er in der Gruppe „Homosexuelle Aktion Hamburg“ aktiv und spielt ab 1976 als Mitglied des schwulen Kabaretts „Brühwarm“ auf Bühnen im ganzen Land. Mit Songs wie „Sie haben uns ein Gefühl geklaut und das heißt Liebe“ – entstanden in Zusammenarbeit mit Rio Reiser – trat die Truppe gegen Diskriminierung und für mehr Akzeptanz ein. 

Littmanns Versuch, 1980 in den Bundestag einzuziehen, scheitert; bei der Bundestagswahl erhalten die Grünen in Hamburg lediglich 2,5 Prozent der Erststimmen. Er wendet sich wieder dem Theater zu – seine politische Agenda verliert er dabei aber nicht aus den Augen. Als Mitbegründer des Theaters „Familie Schmidt“ geht er jahrelang auf Tournee. Das Motto: „deutsch, aufrecht, homosexuell“.

Zu viel für den Bayerischen Rundfunk

Ende der 80er Jahre wird aus dem reisenden ein sesshafter Theatermacher: Littmann eröffnet auf St. Pauli das Schmidt Theater (zwei weitere Häuser werden in den nächsten Jahren folgen, das Tivoli und das Schmidtchen). Kurz darauf schafft es die „Schmidt Mitternachtsshow“ ins Fernsehen – der NDR überträgt das Programm bundesweit. Gemeinsam mit Lilo Wanders und Marlene Jaschke nutzt Littmann die öffentlich-rechtliche Bühne auch, um Themen wie Homosexualität und Aids anzusprechen; zu provokant für Anstalten wie den Bayerischen Rundfunk, der sich dann aus dem Programm klinkt.

Littmann: Vom Theatermacher zum Fußballboss

Ende 2002 die nächste Überraschung: Littmann wird gefragt, ob er den FC St. Pauli leiten möchte. Einen offen schwul lebenden Vereinsboss im Profi-Fußball – das hat es bis dahin noch nicht gegeben. Littmann ist dabei. „Das ist wohl nur beim FC St. Pauli möglich. Woanders hätte man mich vermutlich gar nicht gewählt“, sagt er später in einem Interview. In den nächsten sieben Jahren rettet er den Verein vor der Insolvenz und führt ihn zurück in die Bundesliga. Nebenbei rüttelt er an der vermeintlich unerschütterlichen Gewissheit vieler Fans, das Homosexualität und Fußball nicht zusammenpassen.

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2022 feiert Littmann seinen 70. Geburtstag. So richtig ruhig ist es um ihn immer noch nicht geworden. In der Corona-Krise setzt er sich immer wieder für Künstler*innen ein und fordert mehr staatliche Unterstützung. Auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und den Umgang mit queeren Menschen in dem Emirat kritisiert er deutlich und fordert die verantwortlichen Fifa-Bosse auf, „gefälligst Stellung zu beziehen“. 

Auf Littmann trifft anscheinend auch heute noch zu, was er schon vor mehr als 40 Jahren in „Sie haben uns ein Gefühl geklaut und das heißt Liebe“ in Worte fasste:

Wir haben die Kraft und Phantasie!

Mensch leben wir unser Leben!

Auch auf den Straßen! Auch auf den Straßen!

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA+-Themen. Alle Beiträge

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