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Vom Hambi zum Heizhammer: Wie konnte das passieren?!

Vor fünf Jahren stand Klimaschutz hoch im Kurs, heute sorgt das Thema in der Bevölkerung für Angst und Schrecken. Woher kommt die Furcht vor „Heizhammer“ und Co?

Demonstrierende bei einer #Hambibleibt-Demo im Oktober 2018. Sie protestieren für den Erhalt des Hambacher Waldes.
Demonstrierende bei einer #Hambibleibt-Demo im Oktober 2018. Wo ist diese zahlreiche Unterstützung für den Klimaschutz heute? Foto: Philip Eichler / Campact

Es sind zwei Umfrageergebnisse, die konträrer kaum sein könnten – und die viel über die Lage von Klimapolitik und Klimabewegung in diesen Tagen aussagen. Im Herbst 2018 lehnten 79 Prozent der Menschen im Land die Rodung des Hambacher Waldes für klimaschädliche Braunkohle ab. Die Klimabewegung hatte einen Lauf. 50.000 Menschen demonstrierten an dem uralten Wald und verhinderten seine Zerstörung. Ein Jahr später waren 1,4 Millionen Menschen mit Fridays for Future auf den Straßen – und setzten den Kohleausstieg durch. 

Wie anders ist es doch jetzt gerade ums Klima bestellt. 76 Prozent der Bevölkerung lehnen das Gebäude-Energie-Gesetz der Regierung ab, und damit die nächste große Aufgabe beim Klimaschutz: nach dem Aus für die Kohle das Aus fürs Gas durchzusetzen. Klimaschutz ist in der Defensive. Mehr noch: Es entwickelt sich ein zunehmend polarisierter Kulturkampf ums Klima.

Fossile Lobby feuert die Debatte an

Mehr Infos zu dem als „Heizhammer“ betitelten Gebäude-Energie-Gesetz findest Du in diesem Beitrag:

Wie konnte es dazu kommen? Es ist ein Geflecht aus Gründen, das uns in diese Lage gebracht hat:

  • Die Folgen der Klimaschutzmaßnahmen erreichen unseren Alltag – und lösen bei vielen Menschen Verunsicherung aus. Beim Kohleausstieg lief die Konfliktlinie gegenüber einem Konzern, der sein fossiles Geschäftsmodell beenden sollte. Der Strom sollte aus erneuerbaren Quellen kommen, aber für uns Verbraucher*innen kommt er weiter aus der Steckdose. Ganz anders bei den derzeitigen klimapolitischen Gesetzesvorhaben: das Verbrenner-Aus für Pkw, das Heizungsgesetz (Gebäude-Energie-Gesetz), die Energetischen Mindeststandards für den Gebäudebestand (MEPS). Sie alle greifen in die Lebensrealität vieler Menschen ein und machen – wenn auch über längere Zeiträume – Veränderungen nötig. Das verunsichert viele.
  • Mit gezielten Kampagnen und Desinformationen befeuert die fossile Lobby die Verunsicherung. Seit Wochen mobilisiert der Springer-Konzern gegen „Habecks Heizhammer“. Rechtsextreme Medien wie Tichys Einblick streuen gezielt Desinformationen, die leider immer wieder von Politiker*innen und Medien aus dem demokratischen Spektrum aufgenommen werden. Besonders perfide argumentiert die FDP, wenn sie unter dem Begriff „Technologieoffenheit“ das Wort für Techniken erhebt, die noch gar nicht marktreif sind – und damit den Umstieg auf Elektroautos und Wärmepumpen blockieren.
  • Warnungen vor der Dramatik der Klimakrise erscheinen vielen Menschen als Alarmismus. Bis tief in ein rot-grünes Milieu ist vielen nicht klar, wie schnell und konsequent wir handeln müssen, wenn wir verhindern wollen, in eine sich selbst verstärkende Klimakatastrophe abzurutschen. Das haben Befragungen und Fokusgruppen mit Campact-Unterstützer*innen gezeigt. Genau deshalb treffen Aussagen wie „die Grünen überziehen beim Klimaschutz“, bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden. 

Angst vor Wahlverlusten führt zu Kurswechsel

Angesichts dessen ändert sich auch die politische Logik bei SPD, FDP und Union. Fürchteten diese Parteien in Zeiten der großen Proteste rund um den Hambacher Wald und die großen Mobilisierungen von Fridays for Future für zu wenig Klimaschutz von Wähler*innen abgestraft zu werden, ist es mittlerweile umgekehrt. In den Landtagswahlkämpfen in Berlin und Bremen waren sie damit erfolgreich, vor zu viel Klimaschutz zu warnen. Und auch im Kanzleramt scheint gerade eher die Angst vor Protest gegen Klimaschutz umzugehen. 

Willkommen im Campact-Blog

Schön, dass Du hier bist! Campact ist eine Bürgerbewegung, mit der über 2,5 Millionen Menschen für progressive Politik streiten.

Nicht die Klimabewegung ist es, die antreibt. Sondern die Furcht, dass eine Gelbwesten-Bewegung wie in Frankreich oder eine Bürger-und-Bauern-Partei wie in den Niederlanden entstehen könnte. Letztere fuhr bei den letzten Provinzwahlen aus dem Stand das beste Ergebnis aller Parteien ein – indem sie gegen Umweltauflagen zu Nitratemissionen ins Grundwasser mobilisierte. Zudem ist auch das derzeitige Umfragehoch der AfD ein Indiz, wie sehr Kampagnen gegen Klimaschutz-Gesetze bei Wähler*innen zünden.  

Die einzigen, die in der Regierung noch für Klimaschutz kämpfen, sind die Grünen. Doch auch sie wirken gerade in ihrer Ambition gebremst. Kaum beachtet von der Öffentlichkeit, begrub Wirtschaftsminister Robert Habeck bei einem Treffen mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) letzte Woche die Pläne zum Kohleausstieg im Osten der Republik: „Ist es dann so, dass wir bei 2038 bleiben, dass wir es ein bisschen vorziehen oder dass man 2030 erreicht? Da bin ich geduldig.“ Zu Jahresbeginn, als Zehntausende gegen die Zerstörung des Dorfes Lützerath durch die Kohlebagger im Rheinland demonstrierten, klang das noch ganz anders.

Das Aus für die Klima-Gesetze?

Keine einfachen Bedingungen angesichts dessen, dass es in den nächsten vier Wochen bis zur parlamentarischen Sommerpause um die beiden zentralen Klima-Gesetze der Ampel geht. Und die FDP setzt gerade alles daran, die beiden Gesetze zu zerschießen: 

Zukunft nicht verfeuern: Heizen klimafit und bezahlbar machen!

Campact startet einen Appell für eine gerechte Wärmewende: Heizen muss klimafreundlich und sozial gerecht werden!
  • Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass jedes Ministerium für seinen Sektor ein wirksames Sofortprogramm braucht, wenn dieser sein Klimaziel nicht erreicht. Diesen Mechanismus will die FDP streichen. Der Grund: Ihr Verkehrsminister Volker Wissing verfehlt sein Klimaziel krachend und weigert sich, ein Sofortprogramm vorzulegen. Diesen Gesetzesbruch will die FDP beenden und die entsprechenden Paragrafen einfach aufheben. 
  • Das Heizungsgesetz soll in den nächsten 20 Jahren schrittweise das Ende von Öl- und Gasheizungen bringen. Damit ist es ähnlich bedeutend wie der Kohleausstieg. Sozial- und Verbraucherschutzverbände fordern zu Recht, dass es um einkommensabhängige Förderprogramme ergänzt werden muss; außerdem dürfen Sanierungskosten nicht zu stark per Modernisierungsumlage auf Mieter*innen abgewälzt werden. Doch die FDP will das als „Heizhammer“ beschimpfte Gesetz komplett verhindern – um die Profite der Öl- und Gaslobby zu sichern. 

In den nächsten vier Wochen werden wir uns als Klimabewegung nicht aus der Defensive befreien. Aber wir wollen zumindest dafür sorgen, dass nicht nur die Klimabremser die Debatte beherrschen. Wenn die Springer-Medien mit der nächsten Runde ihrer „Heizhammer“-Kampagne gegen Klimaschutz viele Menschen verunsichern wollen, halten wir mit Anzeigen in großen Tageszeitungen gegen; pointiert und zugleich fachlich richtig. 

Wenn in den kommenden Wochen das große Ringen um beide Gesetze im Bundestag beginnt, sind wir vor Ort: Wir organisieren zusammen mit Fridays for Future und vielen weiteren Bündnispartnern am Freitag, den 16. Juni eine große Klima-Demo in Berlin. Und wenn rechte Trolle in den sozialen Netzwerken gegen Klimaschutz hetzen, halten wir mit Social-Media-Aktionen dagegen. 

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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