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Wie viel verdienst Du?

Dieses Gerichtsurteil wirkt nach: In Spanien muss ein Mann seiner Ex-Frau einen Lohnausgleich von 200.000 Euro zahlen, weil sie jahrelang die Care-Arbeit übernommen hat. Und welches Gehalt steht Dir zu?

Care-Arbeit muss sich lohnen
Eine Mutter wischt mit ihrem Sohn Geschirr ab. Foto: IMAGO / Westend61

Dreckiges Geschirr spülen, Kinder trösten, füttern, schaukeln, ins Bett bringen, Berge voll Wäsche waschen, Lebensmittel einkaufen, Essen kochen, Essensreste vom Boden aufsammeln … Was wäre, wenn all diese Tätigkeiten bezahlt würden? Wenn Du fürs Wischen, Saugen, Trösten einen Lohn erhalten würdest? Wie viel Geld würdest Du dann verdienen? 

Wie viel ist Deine Care-Arbeit wert? 

Die App „Who Cares“ will genau das aufzeigen. Sie misst die Zeit, die Menschen für unbezahlte Tätigkeiten wie klassische Haushaltstätigkeiten (wie Putzen, Kochen, Waschen), Kinderbetreuung, Pflege oder emotionale Arbeit aufbringen. Dann rechnet sie aus, wie hoch das Gehalt wäre, würden diese Tätigkeiten bezahlt werden. 

Care-Arbeit

Der Begriff „to care“ kommt aus dem englischen Sprachraum und bedeutet „sich kümmern“, „pflegen“, „umsorgen“. Äquivalent zur Care-Arbeit ist im Deutschen oft von Pflege- oder Sorgearbeit die Rede. 

12 Milliarden Stunden 

Laut der Organisation Oxfam arbeiten Frauen und Mädchen weltweit jeden Tag mindestens 12 Milliarden Stunden unbezahlt. Und übernehmen dabei drei Viertel der Care-Arbeit. Im Durchschnitt verbringt eine Frau in Deutschland pro Tag 87 Minuten mehr mit Care-Arbeit als ihr Partner. Damit bleiben ihr eben auch 87 Minuten weniger für ihre Hobbys, sozialen Kontakte, Schlaf oder ihre Lohnarbeit.

Es ist kein Geheimnis, dass Frauen mehr Care-Arbeit übernehmen. Was jedoch dabei seit Jahren von der Politik wissentlich übergangen wird: Unser ganzes System baut auf dieser unbezahlten Arbeit auf – und dabei wird ihr abgesprochen, produktiv zu sein. Produktiv ist nur der, der eine Suppe kocht und sie verkauft. Wer die Suppe für seine Familie kocht, der macht das aus Liebe. Dabei entsprechen dieses „Liebes-Jobs“ rund einem Drittel des Bruttoinlandsproduktes.

200.000 Euro für 25 Jahre Hausarbeit  

Dass diese unsichtbare Arbeit einen materiellen Wert hat, das hat ein Gericht in Südspanien im Frühjahr dieses Jahr erkannt. In Vélez-Málaga sprach das Gericht einer Ex-Frau 204.624,86 Euro zu, weil sie sich die letzten 25 Jahre hauptamtlich um den Haushalt und die zwei Töchter gekümmert hatte – während ihr Mann Karriere machte. Für die Zeit ihrer Ehe wurde Ivana Moral der monatliche spanische Mindestlohn zugesprochen. Den Ex-Mann hat das Gericht außerdem zu einer monatlichen Rentenzahlung verpflichtet. Laut dem Gerichtsurteil wurde Moral „aufgrund ihrer ausschließlichen Hingabe an Haus und Familie jeder möglichen Karriere beraubt“. 

Und auch vom Obersten Gerichtshof in Österreich gab es jüngst ein revolutionäres Urteil: Das Gericht rechnete die Care-Arbeit bei der Vermögensaufteilung nach der Scheidung an. Immaterielle Leistungen – also klassische Care-Arbeiten – wiegen für das Gericht höher als rein finanzielle Beiträge.

Arbeitswelt neu organisieren

Frauen wurden weltweit jahrhundertelang ihrer Karrieren beraubt – und selbst heute, in Zeiten, in denen Gleichberechtigung möglich sein sollte, ermöglicht die gegenwärtige Organisation von Arbeit Gleichstellung eben auch nur einem gewissen Anteil der Bevölkerung, und zwar in einem sehr begrenzten Rahmen.

Frauen, die Karriere machen wollen (und das ist in vielen Köpfen nach wie vor gleichbedeutend mit Vollzeit arbeiten), werden gezwungen, andere Aufgaben eher outzusourcen – an die Babysitterin, Haushaltshilfen oder Lieferdienste vom Supermarkt. Eben hauptsächlich an andere Frauen* und Migrant*innen, die aufgrund sozialer Klasse oder ihrer Rassifizierung weniger Chancen auf Bildung und Arbeit haben. 

Denn bislang ist die traurige Realität, dass Männer eben nicht häuslicher werden, damit ihre Frauen Karrieren machen können. Nach wie vor arbeiten Frauen deutlich mehr in Teilzeit (Lies hier den Beitrag zum Gender-Pay-Gap). Und die Arbeitsteilung nach Geschlecht hat weitreichende Folgen: Frauen erhalten weniger Lohn, niedrigere Renten und sind häufiger von Altersarmut betroffen. Gerade nach der Geburt des ersten Kindes sind es vor allem Frauen, die in Elternzeit gehen und danach (wenn überhaupt) im Job die Stunden reduzieren. 66 Prozent der erwerbstätigen Mütter arbeiten in Teilzeit, aber nur 7 Prozent der Väter. 

Wertschätzung kostet

Doch wie lässt sich Care-Arbeit aufwerten? Der Deutsche Frauenrat fordert seit Jahren Entgeltleistungen für Sorgearbeit, beispielsweise anhand von Pflegezeiten. Ausgefallene Einkommen könnten so über die Träger der Sozialversicherungen ausgeglichen werden. Frauen wären so finanziell besser abgesichert und auch Männer sollte es ermutigen, Aufgaben der Sorgearbeit zu übernehmen. Auch das bedingungslose Grundeinkommen könnte eine Art des Lohnes für unbezahlte Arbeit sein. 

Klar ist, Care-Arbeit braucht mehr Wertschätzung – und Wertschätzung funktioniert eben auch über Geld. Kritiker*innen befürchten jedoch, dass eine Entlohnung der Hausarbeit traditionelle Rollenbilder noch weiter verstärken könnte und Frauen mittels „Herdprämie“ vom Arbeitsmarkt verdrängt würden. 

Um dem entgegenzuwirken, ist es zentral, auch für Männer gezielt Anreize zu schaffen, damit sie mehr Care-Arbeit übernehmen. Während Paare ohne Kinder die Care-Arbeit oft noch gleich verteilen, kommt der Bruch spätestens mit dem ersten Kind. Darum ist es zentral, dass Männer hier direkt mit in die Pflicht genommen werden. Die Partnermonate sind dabei ein Instrument: Nimmt der zweite Partner mindestens zwei Monate Elternzeit, erhöht sich das Basiselterngeld von 12 auf 14 Monate. Die Ampel hatte eigentlich vorgesehen, die Partnermonate beim Basis-Elterngeld um einen Monat (von zwei auf drei) zu erweitern. Ob es dazu kommt, ist derzeit jedoch extrem ungewiss. Schließlich will FDP-Finanzminister Lindner gerade beim Elterngeld kürzen.

Die Elterngeldkürzung wird auf die Dauer der Elternzeit kaum Einfluss haben. Denn bislang sieht die traurige Realität nämlich so aus: Von den deutschen Vätern gehen nur zehn Prozent nach der Geburt des Kindes mehr als zwei Monate Elternzeit. Mit der beschlossenen Kürzung bei den reichsten 60.000 Haushalten wird sich daran nicht viel ändern. Vielleicht haben nun nur noch mehr Männer die Ausrede parat, Zuhause bleiben zu müssen, weil sie ja so viel mehr verdienen.

Care-Arbeit als zentraler Sektor

Letztlich braucht es viel mehr. Wir brauchen eine Familienpolitik, die Väter in die Pflicht nimmt, damit sie in Elternzeit gehen. Wir brauchen eine Gesellschaft, bei denen Mütter wie Väter schräg angeguckt werden, wenn sie nach 16 Uhr noch im Büro sitzen. Care-Arbeit muss endlich als das anerkannt werden, was es ist – ein Wirtschaftssektor, der den Laden am Laufen hält. Nur so würde die gesamte Wertschöpfung durch Care-Arbeit deutlich. 

Und für eine bessere Verteilung von Care-Arbeit braucht es natürlich auch eine gute öffentliche Daseinsvorsorge – also Kitas und Schulen in der nahen Umgebung, einen kostenlosen Zugang zu Bildung und einen gut ausgestatteten Gesundheitssektor. Für all diese Themen setzt sich Campact seit Jahren ein. Sei auch Du dabei und bestell jetzt den Campact-Newsletter.

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Autor*innen

Vera Kuchler arbeitet seit 2017 als Redakteurin bei Campact. Die ausgebildete Soziologin und gelernte Journalistin beschäftigt sich im Blog vor allem mit dem Thema „Arbeit und Geschlecht“. Alle Beiträge

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