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Demokratie: Das sind wir alle

Für eine echte Demokratie reicht eine klare Kante gegen Rechts nicht. Was jetzt passieren muss: Kontakt suchen und Menschen aus dem rechten Sumpf herausholen.

Eine Menschenmenge protestiert gegen die AfD. Die Demo fand am 21. Januar 2024 in Berlin statt.
Protestierende bei der Demo für Demokratie am 21. Januar 2024 in Berlin. Foto: Chris Grodotzki / Campact

Eine Situation aus meinem Alltag: Wenn ich mich mal wieder geirrt, verfehlt oder (emotional) verletzt habe, suche ich in der Regel nicht die Schuld oder den Grund bei einem anderen. Ich habe da eine viel bessere Coping-Strategie entwickelt. Dann sage ich meist zu mir: Das warst zwar du, aber es war nur der unvernünftige, unordentliche, you name it – Anteil von dir. Mein restliches, viel größeres Ich kann sich dann automatisch von dem schuldigen Anteil trennen und sich wieder gut fühlen. Die Strategie funktioniert also erstmal gut. Trotzdem: Auch wenn es mir gut tut, zu bemerken, dass ich auch noch mitfühlende, schlauere, einsichtigere Anteile habe, hilft es mir letztlich nicht, bei diesem Wohlgefühl stehenzubleiben. Der nächste Schritt, um wirklich Verantwortung zu übernehmen, wäre es, sich genau dem abgespaltenen unliebsamen Anteil zuzuwenden, Kontakt aufzunehmen, diesem zuzuhören, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Um alle meine Anteile wieder zusammenzubringen muss ich, mich mit genau diesen „weggeschobenen Themen“ beschäftigen. Vielleicht kann ich am Ende sogar noch etwas lernen? Erst dann habe ich die Chance, das nächste Mal eine bessere Entscheidung zu fällen oder einen nachhaltigeren Umgang in einer Situation zu finden.

Was hat jetzt diese persönliche Einsicht mit der Lage der Demokratie zu tun? Erstaunlich viel, finde ich. Vielleicht ahnst du es schon. Aber dazu später mehr.

Anselm Renn ist ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler und Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Lies hier alle seine Beiträge.

Auch ich habe die letzten Sonntage auf den Anti-AfD-Demos verbracht. Es ist genau jetzt wichtig, ein Signal zu senden: Die zutiefst rassistischen, menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Machenschaften der extremen Rechten dürfen nicht unbeantwortet bleiben! Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, wer wir sein wollen! Gleichgültigkeit ist hier Gift für die Demokratie. Es tut gut zu merken: Wir sind die Mehrheit, die sich für eine offene, heterogene, vielfältige demokratische Gesellschaft einsetzt. Wir lassen vor allem die unter uns nicht allein, die sich täglich mit Hass und Hetze von rechts konfrontiert sehen. Deswegen: Umso mehr Menschen sich dieser Tage auf „Zusammen gegen Rechts“ vernetzen und Demos organisieren, umso besser.

AfD in Landtagen: Eine echte Gefahr

Denn wir merken alle: Die Gefahr ist mehr als real. Die vom Verfassungsschutz zum Teil sicher rechtsextrem eingestufte AfD ist seit Monaten in allen drei Ost-Bundesländern, in denen dieses Jahr gewählt wird, laut Umfragen stärkste Kraft. Das ist mehr als „zum Haare raufen“, da zeichnet sich eine demokratische Katastrophe ab! Auch wenn man eventuell noch um eine AfD-Regierungsbeteiligung herumkommt. Die AfD wird sehr wahrscheinlich mancherorts eine Sperrminorität innehaben.

Konkret heißt das: Eine AfD, die über ein Drittel oder mehr der Sitze im Landtag verfügt, könnte alle Entscheidungen blockieren, die mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden müssen. Dazu gehören insbesondere Verfassungsänderungen. Wenn die bevorstehenden Wahlen so ausgehen wie die Umfragen befürchten lassen, dann hieße das, dass zum Beispiel die Thüringer Landesverfassung ohne Zustimmung der AfD nicht mehr geändert werden kann. Ohne sie könnte man dann keine wichtigen Ämter wie Verfassungsrichter oder die Leitung des Verfassungsschutzes mehr besetzen. Was das für langfristige Auswirkungen auf unsere Demokratie haben wird, ist kaum vorstellbar.

Trotz alledem müssen wir jetzt irgendwie weitermachen. Wir sind die Mehrheit. Das ist gut zu bemerken und wichtig, diese Kraft der Gemeinschaft auch auf Demos zu spüren. Aber was machen wir nun damit? Auch ich habe letzten Sonntag gerufen: „Wir sind die Brandmauer.“ Aber ist das wirklich unser bestes Bild, unsere beste Geschichte, unsere beste Strategie gegen diese AfD? Mauern sollen schützen, Grenzen ziehen. Aber ist das Bild nicht allein, weil wir uns in Deutschland befinden, nicht zum Scheitern verurteilt? „Tear down this wall!“ hat der damalige US-Präsident Ronald Reagan in seiner berühmten Rede vor dem Brandenburger Tor in das deutsche Langzeitgedächtnis geschrieben. Hierzulande hat das Bild der Mauer vor dem inneren Auge doch bereits einen Riss.

Wie geht es weiter nach den Demos?

Es kann sein, dass nach den Wahlen in Ostdeutschland die AfD wenigstens in ein paar Bundesländern so stark ist, dass demokratische Parteien gezwungen sind, wenigstens punktuell mit ihr zu verhandeln. Hinzu kommt die Situation im privaten Raum: Wir alle kennen mittlerweile AfD-Wähler:innen. Sie sitzen längst mit uns am Küchentisch. Sollen wir jetzt zu Hause auch eine Brandmauer aufbauen? Das ist doch Quatsch. Im Gegenteil, wir müssen in Kontakt gehen, wo es noch irgendwie möglich ist. Zuhören. Ins Gespräch kommen. Klare Kante und gleichzeitig Empathie zeigen. Den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen. Und echte Augenhöhe zulassen. (Zumindest mit denen, die nicht eindeutig rassistisch, totalitär und sexistisch argumentieren.)

Es geht kein Weg dran vorbei! Wir müssen, wenn wir als Gesellschaft nicht noch mehr auseinanderdriften wollen, mit aller Kraft probieren, diejenigen, die der AfD auf den Leim gegangen sind, wieder Teil vom Ganzen werden zu lassen. Ihre (vielleicht auch nur gefühlten) Sorgen und Ängste ernst nehmen. Das heißt aber nicht, die politischen Forderungen der AfD zu übernehmen. Es heißt nachzufragen, wo der Schuh wirklich drückt und demokratische Lösungen zu entwickeln, und zwar alle gemeinsam! Nur so lässt sich vielleicht noch verhindern, dass aus Frust und Protestwählen keine sexistische, rassistische Politik herauskommt.

Ein Plädoyer für eine Kontakt-Demokratie

Wichtig wäre vor allem: Menschen müssen sich wieder als Teil der Lösung und nicht Teil des Problems fühlen. Und dafür braucht es Gelegenheiten. Bürgerbeteiligung und vor allem die direkte Demokratie geben Prozesse vor, in denen gemeinsame Gespräche und geordneter Konflikt stattfinden können. Aber eine Politik der Beteiligung ist in Deutschland noch lange kein Standard. Die Politik hält die Menschen vielmehr auf Distanz und zeigt sich oft nicht offen gegenüber dem Wissen und der Kompetenz ihrer Bürger:innen. In der Regel ist ihr Beitrag über ihre Stimmabgabe beim Wählen hinaus nicht gewünscht. Das ist einfach zu wenig Demokratie für das dritte Jahrtausend. Das geht besser. Durch mehr Bürger:innenbeteiligung, Transparenzgesetze und bessere Regelungen der direkten Demokratie. Wir brauchen eine regelrechte Kontaktdemokratie! Sonst wird das nichts.

Wie das Ganze funktionieren kann, zeigen uns aktuell zum Beispiel Bürgerräte. Sie produzieren allein durch ihre Zusammensetzung und ihre Arbeitsweise so etwas wie eine gemeinwohlorientierte, ganzheitliche Politik. Letzte Woche endete der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat. Ein Querschnitt der Bevölkerung war da vertreten, mit hoher Wahrscheinlichkeit also auch Menschen, die die AfD gut finden – aber eben auch viele mit anderen politischen Einstellungen. Was dabei herauskam, waren fundierte, operationalisierbare und vernünftige Empfehlungen an die Politik. Geht doch! Jetzt brauchen wir viel mehr davon!

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Autor*innen

Anselm Renn ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler. Er ist Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. und setzt sich seit Jahren als Pressesprecher und Campaigner für stärkeren Bürger:inneneinfluss in der Politik auf allen Ebenen ein. Im Campact-Blog schreibt er zu den Themen Direkte Demokratie und Volksentscheide. Alle Beiträge

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