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German Vote: Wie Deutschland Umweltschutz und Menschenrechte blockiert

Der „German Vote“ – eine ganz besondere Auszeichnung? Im Gegenteil: Er steht für das Phänomen, dass vor allem Deutschland dazu neigt, in letzter Minute eigentlich fertig verhandelte EU-Gesetze zu blockieren. Dafür ist vor allem eine Partei verantwortlich.

Europäisches Parlament, EU-Parlament, Flaggen europäischer Länder und Flagge der Europäischen Union, Europaviertel Kirchberg-Plateau, Luxemburg, Europa
Deutschland und die EU, immer in der gleichen Richtung unterwegs? Leider nicht: Der berüchtigte "German Vote" lässt so manche fast fertig verhandelte Richtlinien platzen. Foto: IMAGO / imagebroker

Es ist ein normaler Arbeitstag. Ich nehme an einer Videokonferenz über ein Gesetz teil, das demnächst in Brüssel beschlossen werden soll. Außer mir sind Kolleg*innen aus verschiedenen europäischen Ländern dabei. Wie so oft in letzter Zeit soll ich, die einzige Deutsche in der Runde, erst einmal berichten: Ob Deutschland denn überhaupt – wie eigentlich angekündigt – dafür stimmen wird? Oder gebe es mal wieder eine „German Vote“ – eine „deutsche Abstimmung“?

„German Vote“ – was soll das denn sein? Diese Bezeichnung hört man in den letzten Monaten oft auf den Fluren des Europäischen Parlamentes, im Ministerrat oder der EU-Kommission. Sie bezeichnet das Verhalten der Bundesregierung, über lange Jahre ausgehandelte Gesetze auf den letzten Metern doch noch zu blockieren. Wohlgemerkt: Nachdem jahrelang gemeinsam an Kompromissen gefeilt und die eigene Zustimmung in Aussicht gestellt wurde. Weil das in letzter Zeit immer wieder vorkommt, gilt Deutschland in der Europäischen Union nun als unzuverlässig.

Lena Rohrbach ist Fachreferentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International Deutschland.

Der „German Vote“: Kein Kompliment

Jüngstes Beispiel: das Lieferkettengesetz. Das Gesetz soll europäische Unternehmen verpflichten, gegen Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung und Kinderarbeit in ihren Lieferketten vorzugehen. (Wer es genau wissen will: Hier war es im Blog schon einmal Thema.) Viele Jahre haben die EU-Staaten mit Parlament und Kommission einen Kompromiss aller Interessen verhandelt. Sogar in der deutschen Wirtschaft trifft das Vorhaben mittlerweile auf Zustimmung: Auch die meisten Unternehmen wollen nicht von Zwangsarbeit oder vergifteten Flüssen „profitieren“. Außerdem gibt es bereits ein entsprechendes Gesetz in Deutschland – da liegt es nahe, ähnliche Standards für alle Unternehmen in der EU zu fordern.

Doch kurz vor der entscheidenden Abstimmung am 9. Februar blockiert die FDP und verweigert ihre Zustimmung – und SPD und Grüne lassen es sich wieder mal gefallen. Dabei ist das Gesetz sogar im Koalitionsvertrag versprochen, jahrelang hat Deutschland am Kompromiss mitgefeilt. Nun kündigte die Bundesregierung den verblüfften Regierungen der anderen EU-Ländern an, nicht dafür zu stimmen. Die Abstimmung musste kurzfristig verschoben werden.

Die FDP als Blockade-Partei

Dieser „German Vote“ ist kein Einzelfall: Das Aus für Autos mit Verbrennermotor blockierte die Bundesregierung – getrieben von der FDP – wochenlang. Obwohl sie eigentlich bereits zugestimmt hatte, stellte sie plötzlich Nachforderungen. Auch das Verbrenner-Aus steht übrigens im Koalitionsvertrag. Bei einer Klimavorgabe für LKW und Busse stellte sich ebenfalls die FDP – und damit die Bundesregierung – kurz vor dem endgültigen Beschluss noch einmal quer.

Eine Richtlinie, die die Rechte von Auftragnehmer*innen von Online-Plattformen schützen sollte, scheiterte vorletzte Woche an der mangelnden deutschen Zustimmung. Vergeblich hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versucht, die FDP umzustimmen. Die Richtlinie hätte beispielsweise Lieferservice-Fahrer*innen besser geschützt, denen Arbeitnehmer*innenrechte vorenthalten werden, weil sie wie Selbständige behandelt werden. Und auch bei der EU-Verordnung über Künstliche Intelligenz überlegte die FDP öffentlich, auf den letzten Metern zu blockieren, obwohl die Verordnung eigentlich fertig verhandelt ist. Übrigens ist die FDP mit ihrer Haltung selbst innerhalb der europäischen liberalen Parteien weitgehend isoliert.

Und was machen SPD und Grüne? Sie jammern mal mehr, mal weniger öffentlich über ihren Koalitionspartner, lassen sich aber am Ende den Kurs diktieren. So kann es nicht weitergehen: Wer regelmäßig einen Rückzieher bei bereits ausgehandelten Kompromissen macht, macht demokratische Prozesse unmöglich. Wer sich nicht an den Koalitionsvertrag halten kann, kann nicht gemeinsam regieren. Und wer regelmäßig den Schutz von Menschenrechten und Klima blockiert, kann keine Verantwortung für unsere Zukunft tragen.

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Autor*innen

Lena Rohrbach ist Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter und Rüstungsexportkontrolle bei Amnesty International. Sie hat als Campaignerin für Campact und im Journalismus gearbeitet und war Sprecherin der Piratenpartei. Lena hat Philosophie, Kulturwissenschaft und Geschichte in Berlin und International Human Rights Law an der University of Nottingham studiert. Auf Twitter ist sie als @Arte_Povera unterwegs. Alle Beiträge

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