AfD Rechtsextremismus
Verunsicherte AfD – zwischen Defensive und Offensive
„Wir sind mehr“: Der Protest gegen die AfD wird lauter. Überall gehen Menschen gegen den erstarkenden Rechtsextremismus auf die Straße. Eine breite Allianz fordert eine nachhaltige Brandmauer. Die Demonstrationen in West und Ost haben die vermeintliche Alternative verunsichert.
Das zentrale Narrativ der AfD – „wir sind die Stimme der schweigenden Mehrheit“ – wurde widerlegt. Die Partei sucht nun nach einer neuen Erzählung. Sie changiert zwischen Attacke und Dementi. „AfD, aber normal“ mag gedacht werden. Erst provozieren und dann relativieren. Nichts Neues von der Partei, die so Termini setzen und Diskurse beeinflussen will. Doch das Auffliegen eines vermeintlich privaten Treffens nahe Potsdam von AfD- und CDU-Politiker:innen führt bei der AfD zu keiner einheitlichen Argumentation. Dass Martin Sellner, von der rechtsextremen Identitären Bewegung kommend, auch vor Unternehmer:innen über die „Remigration“ sprach; ausführte wie Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertrieben werden sollten, führte zu keiner geschlossenen Position. Die Recherchen von Correctiv, unterstützt von antifaschistischen Initiativen, haben die Radikalität der AfD erneut offenbart.
In einigen Kommunen und Landesregierungen kooperieren CDU und AfD regelmäßig für politische Beschlüsse. Wie das die Demokratie gefährdet und warum CDU-Chef Merz nichts unternimmt, liest Du hier:
Die Relativierung der „Remigration“
Im Bundestag polterte Alice Weidel umso lauter. Die Bundestagsfraktionsvorsitzende und Bundessprecherin der AfD sprach über eine „beispiellose Verleumdungskampagne“. Diese Regierung würde Deutschland „hassen“ und eine „Schneise der Verwüstung“ hinterlassen. Sie spaltet die Gesellschaft: Die suggestive Unterstellung, die Proteste seien gesteuert und bestellt; die intendierte Verkehrung, die AfD sei das Objekt einer Kampagne – sie wären das Opfer einer unlauteren Recherche und unberechtigten Protests. In der ARD versuchte zuvor der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, zu relativieren. „Wir stehen zu unserem Plan für eine Remigration von Menschen“, so Baumann. Doch eines möchte er nicht: dass von „Deportation“ gesprochen werde. Die stattgefundenen Demonstrationen bezeichnete er auch schon als „Kampagne“.
Dieser vermeintlicher Unterschied von „Remigration“ und „Deportation“ findet sich ebenso in der gemeinsamen Erklärung der Landtagsfraktionsvorsitzenden der AfD in den Ost-Bundesländern wieder. Unter dem Titel „Remigration ist das Gebot der Stunde“ erklären Hans-Christoph Berndt, Björn Höcke, Oliver Kirchner, Nikolaus Kramer, Ulrich Siegmund und Jörg Urban, dass „Remigration“ kein Unwort sei, sondern „Rückwanderung“ bedeutet. Die AfD-Politiker versichern, dass sie, wenn sie „in Regierungsverantwortung stehen“, Deutschland wieder „deutscher“ werden lassen. Deportationen würden diese Versprechen aber nicht bedeuten. Eine Relativierung, die auch verharmlosen soll, dass Höcke schon 2018 in „Nie zweimal in demselben Fluss“ ausführte, dass ein „großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig“ sei, um die „autochthone Bevölkerung“ zu schützen. Zu diesem Schutz müssten aber nicht alleine die Nicht-Autochthonen weg; raus sollen auch jene „Volksteile (…), die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“.
Begriff ist im Diskurs etabliert worden
In der Partei ist die Vision der „Remigration“ omnipräsent, mit klarer Bildsprache. Die Erklärung der Ost-Landtagsfraktionsvorsitzenden ziert ein Bild mit einer Rückseite eines Flugzeuges und dem bekannten Slogan „Remigration ist das Gebot der Stunde“. Im Westen ist dies nicht minder virulent. Der Hamburger AfD-Bürgerschaftsfraktionschef Dirk Nockemann versucht zwar zu verharmlosen, spricht von einer „Schmutzkampagne“ gegen seine Partei und betont dennoch bei der „Migrationspolitik“ weiterhin der „Vernunft statt Ideologie“ zu folgen. Das Wort „Remigration“ vermied Nockemann.
Er musste es auch gar nicht sagen. Michael Schumann, Kandidat der AfD Hamburg für das Europäische Parlament, forderte indes, dass der Flugzeugbauer Airbus Pläne für eine „Remigrationsflotte“ vorlegen solle. Die „Rückführung“ sei nötig, um die „europäische Völkerfamilie, das deutsche Volk“ zu schützen, so der Mitarbeiter der Fraktion. In diesem Milieu der AfD, das schon lange das rechtsextreme Institut für Staatspolitik um Götz Kubitschek mit bildet, wird aber erneut betont, dass nun der Begriff „Remigration“ fest im Diskurs sei. Ein Ziel der diskursiven Bemühungen im vorpolitischen Raum.
Protest provoziert verärgerten Gegenprotest
Das Lavieren der AfD dürfte vor allem dem starken Protest geschuldet sein. Denn auch die Realitätsumkehrung, Opfer einer Kampagne zu sein, und die Realitätsverzerrung der Demonstrations-Dimension überzeugen nicht ganz. Mit dem gesetzten Begriff scheint sich für viele Menschen die offensichtliche Gefahr offenbart zu haben. Der Riss in der rhetorischen Mimikry dürfte vielleicht manche AfD-Wählende – die nicht wegen des Programms die Partei wählen – zum Überlegen bewegen, eventuell aber ebenso die Nachfragen aus dem privaten Umfeld. Der Rechtfertigungsdruck ist gestiegen. Seit Jahresbeginn hat die AfD nach Infratest dimap bundesweit um die 3 Prozent verloren – sie sank auf 19 Prozent. Der Mitgliederanstieg durch etwa 2.700 Neueintritte ist kein Widerspruch zu der Entwicklung. Er zeigt nur die Polarisierung in der Gesellschaft auf. Von einen Masseneintritt könne nicht geredet werden, wie die Partei suggerieren wolle, denkt Johannes Hillje, Kommunikationsexperte der taz. Die „Kernwählerschaft“ würde nun eintreten, um sich zu solidarisieren, sagte er.
Diese Solidarisierung spiegelt sich im Protest gegen den Protest. In einzelnen Städten wurden bereits Demonstrationen gegen die Demonstrationen ausgerichtet – beziehungsweise sammelten sich Rechtsextreme am Rande von Anti-Rechts-Demonstrationen. David Begrich überrascht diese Gegenwehr nicht. Bei X (ehemals Twitter) schreibt der Rechtsextremismus-Experte:
„Die Demonstrationen gegen die AfD in ostdeutschen Städten wie Grimma, Greiz und Wittenberg stellen den Hegemonie Anspruch der Partei in Frage. Deshalb die Angriffe der extremen Rechten. Sie verteidigen ihre regionale Dominanz im Osten“.
David Begrich auf X
Und Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linken in Sachsen berichtet, dass in Grimma Altbekanntes neu gerufen wurde: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ und „frei, sozial, national“. Die Parolen würden zeigen, welches Personal bei Kritik an der AfD auftrete: „Rechtsextreme, Nazis und rechte Hooligans“. Und sie betont: „Wir waren mehr und natürlich lauter.“
Die „Wir sind mehr“-Demonstrationen werden die drohenden Wahlerfolge der AfD alleine nicht verhindern. Dass Regierungs- und Oppositionsparteien sich einreihen auch nicht. Dass sie sich gar beschweren, dass in Reden und auf Plakaten sowohl die laufende Regierungspolitik, als auch die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse kritisiert werden, noch weniger. Vielmehr gilt die Warnung – frei nach Max Horkheimer: Wer über die bestehenden Verhältnisse nicht reden will, sollte zum Rechtsextremismus schweigen.