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Wie die Klimakrise die Landwirtschaft bedroht

Die Klimakrise wird Europa und dessen Bevölkerung hart treffen – wenn wir nicht rechtzeitig etwas unternehmen. Ein sozial- und klimagerechter Umbau der Landwirtschaft wird deshalb unvermeidbar.

Ein ausgetrocknetes Maisfeld mit großen Trockenheitsrissen im Boden.
Foto: IMAGO / blickwinkel

Die neuen Klima-Daten der Europäischen Umweltagentur sind erschreckend: Europa ist wie kein anderer Kontinent weltweit von der Klimakrise getroffen. Gleichzeitig sind wir nicht auf die kommenden Folgen vorbereitet. Denn wir reden von Szenarien, die hierzulande bis zu 50 Grad und Megadürren mit sich bringen. Die Szenarien sollten wir ernst nehmen und allen voran die Landwirtschaft. 

Doch anstatt heute über die landwirtschaftliche Transformation zu debattieren, werden derzeit auf Druck von rechtsextremen Gruppierungen, Parteien und der Agrarindustrie in Brüssel und Berlin Regeln für Schutzgebiete gelockert und drohen die Rückabwicklung Errungenschaften im Arten- und Klimaschutz. Das verschärft nicht nur die Arten- und Klimakrise, sondern ist eine handfeste Gefahr für unsere Demokratie.

Dabei liegen neue Konzepte seit Jahren auf dem Tisch. Die Politik in Brüssel und Berlin ist gefragt, um sich nicht aufgrund von kurzfristigen Stimmungsbildern verunsichern zu lassen. Sie muss jetzt die Weichen für eine krisenresistente Landwirtschaft setzen. Dafür aber braucht es zwei klare politische Richtungen, die wir von Campact forcieren werden. Doch bevor wir zu den Schritten kommen, müssen wir uns klarmachen, wie die Lage der Bäuer*innen ist.

Den Bäuer*innen wird die Luft abgeschnürt

Im Kern weisen die Bauernproteste auf die richtige Problemstellung hin: Das Prinzip „Wachse oder Weiche“ lässt viele kleinere Höfe sterben und stärkt Agrarbarone mit ihren Großbetrieben. Agrarunternehmen mit über 100 Hektar Fläche machen nur drei Prozent aller EU-Betriebe aus, aber ihre Zahl ist in 10 Jahren um 16 Prozent gestiegen. Mittlerweile nutzen sie 52 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. 

Mehr über die wachsende Machtposition von großen Agrarkonzernen hat auch Anne Neuber in ihrem Beitrag geschrieben:

Hinzu kommt, dass viele kleinere Betriebe der Marktmacht von Discountern wie Aldi, Lidl oder Lebensmittelkonzernen wie Edeka ausgeliefert sind. Sie können sich nicht gegen die viel zu geringen Preise durchsetzen. Als Folge leiden nicht nur die Bäuer*innen selbst. Finanzielle Not führt zu psychischem Stress. Sie sind dreimal stärker von Depressionen betroffen als andere Berufsgruppen. 

Gleichzeitig kommt bei vielen Betrieben die Biodiversität und der Klimaschutz unter die Räder. Der Preisdruck ist so hoch, dass immer intensiver gewirtschaftet werden muss – auf Kosten von Bienen, Schmetterlingen und eben dem Klima. 

Über Jahrzehnte wurde eine Politik forciert, die in diese Lage führte – allen voran von CDU und CSU, die hierzulande die meiste Zeit die Landwirtschaftsminister*in gestellt haben. Doch die derzeitigen Antworten verstärken das Dilemma nur noch und vor allem, sie sind das Ergebnis einer mächtigen Agrarlobby unter dem Deutschen Bauernverband und mittlerweile gekaperten Protesten von rechtsextremen Gruppen oder Parteien.

Wie Rechtsextreme die Deutungshoheit übernehmen

Seit Jahrzehnten ist der Bauernverband der Verteidiger der zerstörerisch-intensiven Landwirtschaft. Mehr Dünger, mehr Massentierhaltung, mehr Wachstum. Alles für den Weltmarkt und damit für die Agrarindustrie. Für kleinbäuerliche Familienbetriebe, Biodiversität oder Klimaschutz ist dabei kein Platz. Und dieser mächtige Lobbyverband bestimmt Hand in Hand mit CDU und CSU maßgeblich die politischen Geschicke in Brüssel und Berlin.

Gleichzeitig stilisieren rechtsextreme Akteure den Konflikt zum Kulturkampf hoch und damit gerät er in das Fahrwasser eines Anti-Eliten-Diskurses. Verantwortlich sind dann wahlweise die Grünen und ihre privilegierten Wählermilieus, die Ampel-Regierung und das „System“ oder gesellschaftlich benachteiligte Gruppen, gegen die sie Hass und Hetze verbreiten. Als Alternative bieten sie autoritäre „Lösungen“ an, die den Status Quo bewahren und Halt im nationalen Bezugsrahmen und in traditionellen Versprechen geben sollen.

All dies wird zur Gefahr für unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Rechtsextreme Narrative werden gerade im ländlichen Raum zunehmend hegemonial und in einem Klima der Angst andere Stimmen ersticken. Die Deutungen und Botschaften der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke werden von Politiker*innen konservativer aber auch mittiger Parteien genauso wie von den Interessenvertretungen der Bauernschaft aufgegriffen und zunehmend normalisiert. 

Der Raum für progressive Politikansätze und Transformationsentwürfe einer Agrarwende wird zunehmend kleiner. Politiker*innen fürchten selbst bei kleinen Veränderungen erneute Protestwellen. Als Folge: Nicht mit einer Politik, die mutige Antworten auf die großen Herausforderungen der Zeit formuliert, glauben die meisten demokratischen Parteien, Wahlen gewinnen zu können, sondern nur mit Angeboten zur Bewahrung des Status Quo. Genau das aber führt weiter ins Verderben und eben deswegen braucht es jetzt zwei Schritte.

1. Keine Rolle-Rückwärts bei Europas Green Deal

„Europe’s man on the moon moment“ nannte die derzeitige europäische Kommissionspräsidentin 2019 den großen Umbruch, den sie mit Europas Green Deal eingeläutet hat. Bis 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden und die biologische Vielfalt in der EU wieder aufblühen. Um das Ziel zu erreichen, ist die Landwirtschaft ein wichtiger Baustein. 

Doch bislang hat sie vor allem zwei Herausforderungen: Mit rund zehn Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU ist sie der nach Energie, Verkehr, Wohnraum und Handel der größte Emissionsbrocken. Gleichzeitig ist die zerstörerisch-intensive Landwirtschaft einer der Hauptgründe für das Artensterben. Mittlerweile fehlt in Deutschland jeder dritte Feldvogel, den es vor 35 Jahren noch gab. Europaweit sind ein Fünftel der europäischen Flora und Fauna vom Aussterben bedroht. 

Genau diese beiden Herausforderungen, die Emissionen und das Artensterben vor unserer Haustür, wollte der Green Deal angehen. Doch damit kommen wir zur dritten Herausforderung: der Angst vor den Protesten. Gedrängt von Rechten und dem Bauernverband wollen die Konservativen im EU-Parlament (EVP unter Manfred Weber, CSU) als größte Fraktion die Rolle rückwärts beim Green Deal. Keine neuen Klima- und Umweltauflagen und sogar die Aufweichung wichtiger Schutzgebiets-Gesetze wie bei der Natura 2000-Richtlinie. 

Ausgerechnet Ursula von der Leyen lässt sich jetzt als Spitzenkandidatin der EVP-Fraktion vor die Karren spannen. Damit greift sie ihr eigenes Erbe an und verschlimmert die Situation für die Landwirtschaft sowie die Arten- und Klimakrise, die sie ja eigentlich lösen wollte. Und genau das dürfen wir nicht zulassen. 

Einerseits muss sich Ursula von der Leyen klar zum Green Deal und damit der Transformation der Landwirtschaft bekennen, andererseits müssen wir die diesjährige Europawahl am 9. Juni als Wahl zur Verteidigung unserer Demokratie und für Europas Green Deal machen. Nur so können wir die notwendige Agrarwende politisch anstoßen. 

2. Berlin in die Pflicht nehmen

Und abseits der Wahl müssen wir die Politik schon jetzt in die Pflicht nehmen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) kann jetzt schon handeln. Denn was Özdemir in der Hand hat: faire Preise für die Landwirt*innen. Dazu müsste er den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) der Europäischen Union anwenden. Er ermöglicht es der Bundesregierung, eine Vertragspflicht zwischen den Verarbeitern und den Bäuer*innen einzuführen. In diesen Verträgen wären Mengen, Qualitäten, Laufzeiten und Preise zwingend zu vereinbaren. Das würde die Bundesregierung keinen Cent kosten, aber die Wertschöpfung auf den landwirtschaftlichen Betrieben steigern.

Gleichzeitig hat sein Regierungskollege, Finanzminister Christian Lindner (FDP), es in der Hand, endlich die Agrarwende finanziell anzustoßen. Im Bericht der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ ist das alles skizziert. Der Umbau hin zu einer neuen und damit klimaresistenten Landwirtschaft kostet pro Jahr rund fünf Milliarden. Die Landwirt*innen stehen hier im Fokus und werden mit diesen Geldern beim Umbau unterstützt. 

Aber? Christian Lindner setzt weiter auf die Schuldenbremse und will für den Haushalt 2025 sogar noch mehr kürzen. Anstatt also zu investieren, wird die Situation weiter verschärft. Genau deswegen sagen wir ganz klar: Es braucht eine Reform der Schuldenbremse. 

Wenn wir aber die Europawahl nicht nutzen und den Druck auf Lindner und Özdemir nicht erhöhen, wird sich die Arten- und Klimakrise weiter verschlimmern, wird der Frust weiter zunehmen – mit allen Konsequenzen für unsere Lebensgrundlage und Demokratie.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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