Feminismus Soziales
Unsichtbares Blut
Der Weltfrauentag macht feministische Themen und Kämpfe sichtbar. Viel haben wir schon erreicht, in puncto Gleichstellung. Aber eine Sache, die viele Frauen, Trans und Inter-Personen umtreibt, wird noch immer stigmatisiert: die Periode. Frauen* dürfen alles sein, alles machen, doch die Menstruation soll unsichtbar und diskret sein. Höchste Zeit, dass sich das ändert!
Jetzt wirds blutig: Während Du diesen Text liest, menstruieren weltweit etwa 300 Millionen Frauen*. Du vielleicht auch. Ich menstruiere, während ich diesen Text schreibe. Wie gut, dass ich die Blog-Themenwahl für diesen Monat diesmal buchstäblich aus dem Bauch heraus treffen kann. Vielleicht fragt ihr Euch jetzt: Warum geht es Euch etwas an, wenn anderen Menschen Blut aus dem Uterus läuft? Zum Frauenkampftag gibt es so viele Themen, Debatten und Kämpfe, über die es sich zu berichten lohnt – müssen wir 2024 echt noch übers menstruieren sprechen?
Ich denke: Auf jeden Fall – denn Menstruation ist politisch! Und während viele Debatten rund um Frauen*- und Gender-Fragen in den letzten Jahren immer sichtbarer wurden, umgibt die Periode immer noch ein Stigma. Denn dass Frauen* ihre Tage bekommen, ist allen klar. Aber bitte heimlich, unsichtbar, schmerzfrei und still. Fleckenlos, ohne Klagen über Krämpfe, happy auf Blumenwiesen. Menstruieren ist ok – solange es niemand mitkriegt. Und das wiederum finde ich nicht ok.
Info: Menstruation
Unter der Menstruation versteht man die Blutung, die entsteht, wenn die Gebärmutterschleimhaut als Teil des weiblichen* Zyklusses abgestoßen wird. Nicht alle Frauen menstruieren und nicht alle menstruierenden Menschen sind Frauen. Denn Stress oder Krankheit können dafür sorgen, dass die Menstruation ausbleibt und auch trans Männer können menstruieren. Weltweit menstruieren ca. 2 Milliarden Menschen.
Die verschwundenen Tage
Ich habe in den 2000ern angefangen, zu menstruieren. Für mich bedeutete das: Viel Tamponwerbung, in denen gut gelaunte Models unbeschwert über Wiesen turnen, unbeschwert mit Freundinnen shoppen, unbeschwert joggen gehen. Denn mit Tamponmarke (beliebiger Name einsetzen) kriegt endlich niemand mit, dass sie menstruieren. Dann lief noch eine blaue Flüssigkeit, die irgendwie nach Oberflächenreiniger aussah, auf ein Hygieneprodukt. Und passend dazu gab es Slipeinlagen, die dafür sorgen, dass niemand riecht, wie unbeschwert man menstruiert. In meiner Jugend wurde ich Expertin im Tampon-Verstecken: Heimlich aus der Handtasche in die Hosentasche gleiten lassen, wenn man auf Toilette geht. Unauffällig unter dem Tisch an eine Freundin durchreichen. Leicht verschämt die Frauen in der Kloschlange fragen: Du, sorry, ist mir etwas unangenehm, aber hast Du vielleicht einen Tampon für mich?
Dabei ist das Schlimmste noch an mir vorbeigegangen: In den 1950ern waren Hygieneprodukte so neutral wie möglich verpackt, damit bloß kein Mann merkt, wofür die eigentlich gedacht sind. In einigen Läden gab es sogar Abreißeckchen, die Frauen den Mitarbeiter*innen geben konnten, damit sie sich die peinlichen Packungen nicht vor aller Augen aus dem Regal holen mussten. Die Werbesprüche dazu: „Die Männer lieben einen ausgeglichenen Charakter“ oder „Da gibt es keine Missstimmung und Gereiztheit, denn Sie bewahrt sich ihre Anmut, seelische Ausgeglichenheit und Sicherheit durch neuzeitliche persönliche Hygiene“.
Hygieneprodukte waren also etwas, bei dem es eigentlich gar nicht um die menstruierende Frau ging – sondern darum, die scheinbar sehr empfindlichen Nerven der Männer zu schonen. Immerhin muss man inzwischen nur für sich selbst ausgeglichen sein, nicht mehr für den Ehemann. Doch der rote Faden in Jahrzehnten kommerzieller Menstruationsprodukte bleibt: Nichts sehen, nichts riechen, nichts spüren.
Nicht nur ein bisschen Blut
Dabei können viele menstruierende Personen ein Lied davon singen, dass die Periode oft nicht eine unbeschwerte Zeit zum Shoppen, Joggen, Turnen ist. Viele Frauen* erleben während ihrer Menstruation starke Krämpfe, Verdauungsstörungen, Müdigkeit, Übelkeit, Reizbarkeit, Rücken- oder Kopfschmerzen. Das Umdenken, Schmerzen für voll zu nehmen und mich nicht dafür zu schämen, dauerte Jahre. Noch während meines Studiums habe ich mich nicht zu meinem Arzt getraut, um mir eine Krankschreibung wegen Regelschmerzen abzuholen – ich war mir sicher, er würde mich nicht ernst nehmen und meine Bitte ablehnen.
Drei Viertel aller Menstruierenden klagen auch vor ihrer Menstruation über Beschwerden. Für mich war früher klar: Darüber redet frau* nicht, das muss frau* eben ertragen – es sind ja „nur“ Regelschmerzen. Rund 10 Prozent aller Frauen erkranken an Endometriose: Wucherungen im Bauchraum, die während der Regel starke Schmerzen auslösen. Doch obwohl so viele Frauen* erkranken, warten Betroffene im Schnitt sieben Jahre auf die Diagnose. Denn Schmerzen während der Regel werden bagatellisiert und zu etwas erklärt, was eben einfach dazugehört. Selbst bei Frauenärzt*innen und in der medizinischen Forschung kommt erst langsam an, dass Endometriose eine ernst zu nehmende Erkrankung ist.
Man stelle sich mal vor: Jeden Monat leiden zwei Millionen Männer in Deutschland unter heftigen Schmerzen – und anstatt Geld in die Forschung zu stecken, wird ihnen geraten, sich nicht so anzustellen und eine Schmerztablette zu nehmen. Absurd? Absolut! Dieses Szenario ist aber Realität, nur eben mit Frauen* statt Männern als den Betroffenen. Das Frauen* rund um ihre Periode leiden, ist also bekannt – aber beschweren sollen sie sich bitte nicht.
Der Kampf um Respekt
Dieser Widerspruch deckt eine Zwickmühle auf, in der menstruierende Frauen* stecken. Im Kampf um gleiche Rechte und gegen patriarchale Übergriffe haben Generationen von Feminist*innen sich dagegen gewehrt, dass Frauen* als „schwächer“ oder „unterlegen“ betrachtet werden. Dazu passt der „Lean-In“-Feminismus, der in den 2010er Jahren populär wurde: Frauen sollen nach Führungspositionen greifen, sich anpassen, hocharbeiten. Kurz: sich wie Männer verhalten, um sich durchzusetzen. Gar nicht so einfach, wenn frau jeden Monat mit Krämpfen kämpft und sich am liebsten einfach nur mit einer Wärmflasche ins Bett krümmen möchte.
Zu oft haben Frauen* das Gefühl, sich ihre Periode nicht anmerken lassen zu dürfen, um ernst genommen zu werden. Dazu passt die Diskussion, die in Spanien 2023 geführt wurde, als es als erstes EU-Land zusätzliche freie Tage bei Menstruationsbeschwerden einführte. Dieser „mentrual leave“ könne dazu führen, dass Unternehmen lieber Männer einstellen, die die zusätzlichen Krankheitstage nicht in Anspruch nehmen. Immer noch werden Frauen* also benachteiligt, wenn sich weibliche Biologie ausdrückt; das betrifft nicht nur die Menstruation, sondern wird auch bei Schwangerschaften deutlich. Die Unsichtbarmachung des Geschlechts, um keine Angriffsfläche für Diskriminierung und Stigmatisierung zu bieten, zieht sich so durch alle Lebensbereiche.
Periode ist politisch
Doch so zu tun, als wäre die Menstruation nicht da, hilft niemandem. Und es benachteiligt Frauen* nicht nur am Arbeitsplatz: Noch bis 2020 wurden Periodenprodukte in Deutschland als Luxusartikel besteuert. Für einen Tampon wurden damit 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig, im Gegensatz zu so essenziellen Produkten wie Schnittblumen und Lachskaviar, die als „Produkte des täglichen Gebrauchs“ mit 7 Prozent besteuert wurden. Für die Steuersenkung ist auch jahrelanger Aktivismus verantwortlich. Mit zwei großen Petitionen forderten Aktivist*innen die Steuersenkungen, um klarzustellen: Tampons, Binden und Menstruationstassen sind kein Luxus, sondern Notwendigkeit für menstruierende Frauen*. Und auf der ganzen Welt kämpfen Initiativen und engagierte Personen für günstige Menstruationsprodukte – denn noch ist die Periode weltweit einer der häufigsten Gründe dafür, dass Mädchen nicht zur Schule gehen.
Periodenarmut ist dabei nicht nur in Ländern des globalen Südens ein Problem: Auch in Deutschland sagen 23 Prozent der befragten Frauen*, die Ausgaben für die Periode seien für sie belastend. Jede Zehnte zögert den Wechsel von Tampons oder Binden sogar bewusst hinaus, um länger damit auszukommen, und riskiert damit notgedrungen eine Infektion. Das muss sich ändern – doch das geht nur, wenn wir endlich anfangen, offen und schambefreit über Menstruation zu sprechen. Über die gesundheitlichen und finanziellen Kosten, über politische Forderungen. Was also können wir tun: Für gesellschaftliche Veränderung streiten! Für kostenlose Tampons und Binden in Schulen und öffentlichen Gebäuden, für bezahlte Krankentage, für eine weltweite Versorgung mit nachhaltigen und günstigen Menstruationsprodukten.
Info: Menstruationsprodukte
Inzwischen gibt es einen großen Markt für Menstruationsprodukte. Am geläufigsten sind Einweg-Binden und Tampons, es gibt aber auch nachhaltige Alternativen: zum Beispiel Menstruationstassen, waschbare Stoffbinden oder Menstruationsunterwäsche. Einen Überblick über Menstruationshygiene und Diskurse im Wandel der Zeit bietet die Ausstellung „Läuft!“, die noch bis Oktober im Museum für Europäische Kulturen in Berlin zu sehen ist.
Der Wandel startet auch mit uns
Was wir noch tun können: Bei uns selbst anfangen! Tampons nicht verschämt unterm Tisch weiterreichen, sondern wie eine Packung Taschentücher (immerhin auch ein Produkt für den Umgang mit Körperflüssigkeiten!). Auf der eigenen Toilette oder in der Lieblingsbar Tampons bereitliegen haben, selbst wenn man(n) nicht menstruiert. Offen sagen, dass es uns nicht gut geht. Uns krankschreiben lassen, wenn es uns nicht gut geht, anstatt stumm auszuhalten. Ja bitte! Und: Lasst uns weiter laut über diese Dinge sprechen, denn keine blutet alleine. Und ohne Stigma gehen die Krämpfe zwar nicht weg – aber es blutet sich besser.