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Wieso wir das Hochwasser voraussehen konnten

Die Klimakrise wird von vielen Politiker*innen in ihrer Dramatik noch nicht verstanden. Dabei ist sie in der Wissenschaft seit langem bekannt. Extremwetterlagen und Hochwasser wie in Bayern und Baden-Württemberg werden so zu Katastrophen mit Ansage.

Hochwasser in Passau am 5. Juni 2024. Zwei DLRG-Schwimmer gehen in voller Montur durch das Wasser. In den Gassen der Altstadt steht immer noch das Wasser.
Hochwasser in Passau am 5. Juni 2024. Zwei DLRG-Schwimmer gehen in voller Montur durch das Wasser. In den Gassen der Altstadt steht immer noch das Wasser. Foto: IMAGO / Sven Simon

„Damit konnte niemand rechnen“, sagte ein aufgelöst wirkender Markus Söder (CSU) vor wenigen Tagen angesichts der enormen Wasserfluten, die große Teile Bayerns, aber auch Baden-Württembergs ins Chaos stürzten. Es sind Sätze wie diese, die vor allem eines zeigen: Politiker*innen sind sich der bereits heute vor unseren Haustüren stehenden Gefahren durch die Klimakrise nach wie vor nicht bewusst.

1983 trat Markus Söder der Jungen Union bei. Doch bereits zwölf Jahre zuvor, 1971, meldete sich zum ersten Mal nach einem aufrüttelnden Vortrag des Meteorologen und Klimatologen Hermann Flohn bei der Jahrestagung die Deutsche Physikalische Gesellschaft zu Wort und warnte: Der Klimawandel könnte unumkehrbar sein. „Geht aber die Industrialisierung (…) ungehindert weiter, dann wird spätestens in zwei bis drei Generationen der Punkt erreicht, an dem unvermeidlich irreversible Folgen globalen Ausmaßes eintreten.“

Diese Warnungen wurden vielfach wiederholt. Ob in den 80ern, 90ern oder den Jahrzehnten danach. Die Warnungen gehen auch jetzt weiter, nur sind sie nun vielfach nicht mehr nur Warnungen, sondern treten als Ereignisse, vor denen gewarnt wurde, direkt ein. Wir müssen uns also nicht mehr nur auf das vorbereiten, was kommt, sondern auf das, was mittlerweile immer öfter eintritt – so wie drei Hochwasserkatastrophen in sechs Monaten. Markus Söders Aussage steht damit exemplarisch für eine Politik, die die Warnungen entweder ignoriert oder aber heruntergespielt hat. 

Eine Jahrhundertflut folgt der Nächsten

Die Folgen dessen sind fatal. Denn wenn dieses Hochwasser, das wieder eine „Jahrhundertflut“ genannt wird, in einer Zeit ständig weiter eskalierender Extremwetterereignisse nicht einmal bei den politischen Entscheidungsträger*innen ankommt, haben wir ein Problem. Dann müssen wir uns fragen: Wie viele Jahrhundertfluten können wir aushalten?

„Das Unwetter an der Ahr und an der Erft hat 3 Prozent der Oberfläche Deutschlands betroffen – nicht mehr. Und hat schon 40 Milliarden Schaden verursacht! Wann begreifen wir endlich mal, dass man was tun muss! Wann fangen wir an?“, fragte zurecht Albrecht Broemme, der ehemalige Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk. Auf diese Frage müssen Söder, müssen alle politischen Akteure eine Antwort finden. Doch derzeit herrscht vor allem Stille. Und noch schlimmer, droht der Klimaschutz unter die Räder zu kommen.

Das selbstmörderische Ja zum Verbrenner

In drei Tagen finden die Europawahlen statt. Während vor fünf Jahren noch Fridays For Future den Klimaschutz bis an die Spitze der Europäischen Kommission trug, scheint jetzt eine 180-Grad-Wendung einzutreten. Europas Green Deal, die Antwort auf den millionenfachen Protest der Klimabewegung, soll zu den Akten gelegt werden. Getrieben von Rechtsradikalen, Faschisten oder der Agrarindustrie soll der Klima- und Naturschutz ausgerechnet von Ursula von der Leyen (CDU) abgesägt werden. Dabei war sie es, der ihn ins Leben rief.  

Und das Absägen hat bereits begonnen. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wird immer noch blockiert. Das Verbrenner-Aus 2035 soll abgewickelt, die CO₂-Flottengrenzwerte für die Autohersteller drohen aufgeweicht zu werden, sodass sie keine Strafzahlungen bei verfehlten Zielen leisten müssen. Wo wir auch hinschauen: An allen Ecken und Kanten des Green Deal wird gesägt, bis das Haus zusammenfällt. 

Angesichts der unzähligen absaufenden Autos in den Fluten, aber auch dem Wassernotstand in Teilen Spaniens und anderen Extremwetterereignissen in Europa, wirkt es geradezu selbstmörderisch, diesen Kurs zu verfolgen. Aber nicht nur das. Auch wirtschaftlich ist es eine Katastrophe. 

Wieso die Deindustrialisierung droht

Für jeden US-Dollar, der heute in fossile Brennstoffe fließt, werden fast zwei US-Dollar in die grüne Alternative investiert. So zeigt es der neue Bericht der Internationalen Energieagentur. Es ist nur ein Beispiel von unzähligen, die aufzeigen, wohin der Markt sich entwickelt. China dominiert mittlerweile mit über 30 Prozent den weltweiten Exportmarkt für E-Autos – bei Wind- und Solaranlagen sowieso. Die USA ziehen nach. Erst kürzlich zeigten neue Daten zum Inflation Reduction Act (IRA), dass 2023 über 260 Milliarden US-Dollar in die Herstellung und den Einsatz von Erneuerbare, E-Mobilität, oder Energieeffizienz investiert wurden. Das ist ein Anstieg um fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Und was machen CDU, CSU, FDP oder Freie Wähler? Setzen voll und ganz auf den Verbrenner – ob mit E-Fuels oder Wasserstoff. Nicht nur sprechen alle Marktdaten gegen eine Nutzung dieser Brennstoffalternativen, sondern wird dadurch der jetzige Umstieg in der Industrie verzögert. Dass das Folgen hat, zeigte sich vergangene Woche. Der Batteriehersteller SVOLT kündigte das Aus der neuen Batteriefabrik in Brandenburg an, weil die politische Stimmung wieder Richtung Verbrenner kippt. 

Wie schon bei der Energiewende, wo CDU/CSU den Netzausbau politisch blockierte oder zusammen mit den Freien Wählern gegen die Windkraft poltert, sehen wir, was uns diese politischen Spielchen kosten. Die Abhängigkeit von Putins Gas und das Verzögern der Erneuerbaren hat in den letzten zwei Jahren mit Milliardenbeträgen zu Buche geschlagen, weil wir teure Alternativen einkaufen mussten. Die Kosten tragen wir alle: bei der Stromrechnung und wirtschaftlich durch eine sinkende Produktion. Deindustrialisierung? Diese droht, wenn CDU/CSU alles verzögern und blockieren, was neue Chancen bietet. Diese wirtschaftlichen Verwerfungen und diese politische Abhängigkeit können wir uns nicht mehr leisten.

Unsere Chance, unsere Wahl

Deshalb braucht es zwei klare politische Entscheidungen, um der Klimakrise entgegenzuwirken, uns an die Klimaveränderung anzupassen und wirtschaftlich nicht den Anschluss zu verlieren.

1. Ein Sondervermögen für den Klimaschutz und die Klimaanpassungen

Hochwasser und die noch immer steigenden Emissionen sind klare Notsituationen. Doch die Schuldenbremse hängt wie ein Klotz am Bein, könnte aber durch ein Sondervermögen in Notsituationen umgangen werden. Wenn also Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner heutigen Bundestagsrede von der Klimakrise redet, muss er auch darüber sprechen, wie er die Klimaziele einhalten und damit zukünftige Klimafolgen abfedern will. Dies gilt ebenso für die Klimaanpassung. 

Dass das notwendig ist, zeigte nicht zuletzt der Klima-Expert*innenrat der Bundesregierung (ERK). Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds (KTF) würden in den kommenden Jahren die so dringend nötigen Veränderungen in Wirtschaft, Infrastruktur und Gesellschaft deutlich verlangsamen. Deutschland droht so das Klimaziel für 2030 zu verfehlen. Eine Verschlimmerung der Krise mit Ansage – mal wieder.

2. Ein Kreuz beim Klima machen

Parallel haben wir Bürger*innen es in der Hand, der Notwendigkeit zur Investition in den Klimaschutz, die Klimaanpassung und damit unsere Überlebensfähigkeit Ausdruck zu verleihen. Am Sonntag wählen wir ein neues Europäisches Parlament. Nicht nur droht ein enormer Rechtsruck, den wir aus guten Gründen verhindern sollten, sondern auch eine Abwicklung des Green Deals. 

Klima- und Naturschutz werden dann zur Fußnote verkommen, sollten Konservative ein Bündnis mit den Rechtsextremen eingehen. Beide eint die Ablehnung gegen Europas Green Deal und beide werden dafür sorgen, dass die wichtigen Posten in der Kommission mit denen besetzt werden, die wenig bis gar kein Interesse am Klimaschutz haben.

Noch können wir das verhindern. Dafür aber müssen wir am Sonntag aus der Europawahl eine Klimawahl machen, wie vor drei Jahren bei der Bundestagswahl. Wir müssen all diejenigen mobilisieren, die sich bisher noch nicht beteiligen wollen. Es liegt an uns, zu entscheiden, wie schlimm das nächste Hochwasser wird. Entscheiden wir uns für eine Welt, in der das Klima stabil ist und uns das ermöglicht, was wir uns doch alle sehnlichst wünschen: ein freies, friedliches und selbstbestimmtes Leben.

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Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

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