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Heteronormativität: Du Hetero!

Ist mein Leben zu heteronormativ? Hört sich nach einer sperrigen Frage an, ist aber ziemlich spannend – und hat unseren Autor ganz schön beschäftigt.

Vater, Mutter, Kinder – und vielleicht noch ein Hund: So wird die klassische heteronormative Familie dargestellt. Hier beispielhaft auf einer Broschüre einer Schweizer Versicherung.
Vater, Mutter, Kinder – und vielleicht noch ein Hund: So wird die klassische heteronormative Familie dargestellt. Hier beispielhaft auf einer Broschüre einer Schweizer Versicherung. Foto: IMAGO / Pius Koller

Es ist schon einige Jahre her, dass mir jemand an den Kopf warf, ich lebe ja ganz schön heteronormativ. Das war nicht unbedingt als Beleidigung gemeint. Getroffen hat es mich trotzdem. Zumindest auf den ersten Blick hatte mein Gesprächspartner ja recht. Verheiratet, zwei Kinder – das klingt schon stark nach einem klassischen, heterosexuellen Alltag.

Heteronormativität – was ist das?

Heteronormativität beschreibt ein gesellschaftliches Wertesystem oder Ordnungsprinzip, das bestimmte Normen, also Verhaltenserwartungen, an die Mitglieder der Gesellschaft hat. In einer heteronormativen Welt gibt es nur zwei Geschlechter, Mann und Frau. Beziehungen zwischen Mann und Frau sind der Standard. Wer nicht heterosexuell ist, weicht von der Norm ab. Die heterosexuelle Ehe und die daraus entstehende Familie stehen im Mittelpunkt des heteronormativen Wertesystems. Sie ist der zu erreichende Idealzustand.

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Und genau das ist das Gefährliche an einem heteronormativen Ordnungsprinzip: Es stellt all die Menschen vor Probleme, die diese Normen nicht erreichen können oder wollen, die mehr Diversität anstreben oder bereits leben. Je heteronormativer eine Gesellschaft ist, desto mehr grenzt sie all diejenigen aus, die vermeintlich anders sind.

Heteronormativer Alltag

In Deutschland hat der Staat die heterosexuelle Lebensweise lange bevorzugt und gefördert. Mit Elementen wie dem Ehegattensplitting fördert er jedoch auch heute noch heteronormative Strukturen. Dafür ist die rechtliche Gleichstellung queerer Menschen mittlerweile weit vorangeschritten, auch wenn es noch letzte Baustellen wie das Abstammungsrecht gibt.

Dennoch ist Heteronormativität immer noch ein fester Bestandteil unserer gesellschaftlichen Strukturen. Heteros und Heteropaare dominieren nicht nur Filme, Serien, Literatur, sondern auch Broschüren der Stadt oder das Info-Plakat im Krankenhauses. Andere Lebensrealitäten kommen oft nur am Rande vor – und ich meine keinesfalls nur queere Personen. Alleinlebende Menschen, Paare ohne Kinder, polyamore Menschen – sie alle sind in einer weiterhin stark heteronormativ geprägten Gesellschaft deutlich weniger sichtbar.

Lesben, die Kinder bekommen, Schwule, die Kinder adoptieren, Frauen, die Karriere machen, während sich der Partner oder die Partnerin um die Kinder kümmert, Menschen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem verorten: All das stellt die patriarchale Ordnung unserer Gesellschaft infrage und fühlt sich deshalb für viele Menschen immer noch bedrohlich an.  

So klein ist die Minderheit gar nicht

Nun ließe sich argumentieren, das sei auch schon alles gerechtfertigt, schließlich sei der größte Teil unserer Gesellschaft nun mal hetero und identifiziere sich mit dem bei der Geburt zugewiesen Geschlecht. Rein rechnerisch stimmt das zwar – taugt als Argument aber nur bedingt. Immerhin acht Prozent der ab 1995 geborenen volljährigen Deutschen identifizieren sich als homo- oder bisexuell, weitere zwei Prozent als pansexuell oder asexuell.

Hinzu kommt: Der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Minderheiten – egal, wie groß sie zahlenmäßig letztendlich sind – ist ein Gradmesser dafür, wie demokratisch, gerecht und inklusiv eine Gesellschaft aufgestellt ist. Und dazu gehört nun auch mal, die Lebensrealität dieser Minderheiten als gleichberechtigt anzunehmen und abzubilden.

So wirkt Heteronormativität

Weil unsere Gesellschaft stark heteronormativ gepägt ist, werden queere Menschen immer noch ausgegrenzt und diskriminiert. Oft sind es auch nur die kleinen Dinge: Anmeldeformulare in der Kita, auf denen Vater und Mutter unterschreiben sollen – obwohl das Kind zwei Papas hat. Das Familienticket im Zoo, dass das lesbische Paar mit Kind erst auf Nachfrage bekommt. Die schrägen Blicke auf der Straße, der unpassende Spruch auf der Familienfeier.

Heteronormativität wirkt bei queeren Menschen auch stark nach innen. Wenn die Mehrheitsgesellschaft vorgibt, dass Heterosexualität und ein binäres Geschlechtersystem „richtig“ sind, können sich gerade queere Jugendliche und Heranwachsende „falsch“ fühlen. Mit gravierenden Folgen: Sie versuchen deutlich häufiger als heterosexuelle Jugendliche, sich das Leben zu nehmen.

Übrigens leiden nicht nur queere Menschen unter heteronormativen Vorstellungen. Auch Heteros können sich in einer heteronormativen Gesellschaft sehr unwohl fühlen. Paare, die sich aufgrund freiwilliger oder ungewollter Kinderlosigkeit nicht akzeptiert fühlen – oder die bewusst von heteronormativen Rollenbildern abweichen und sich dafür rechtfertigen müssen. Alleinlebende Menschen, die unter dem Vorwurf leiden, nur mit Partner oder Partnerin vollwertig zu sein. Menschen, die eine andere Beziehungsform als die Zweierbeziehung wählen – sie alle passen nicht wirklich ins Konzept der Heteronormativität.

Heteronormativität sprengen

Zurück zur Eingangsfrage: Hatte mein Gesprächspartner damals recht, als er mein Leben als heteronormativ bezeichnete? Mittlerweile denke ich: Nein. Klar, mein Leben ähnelt in ein paar – recht entscheidenden – Punkten dem einer heterosexuellen Familie. Aber es gibt auch Unterschiede. 

Meinem Mann und mir gelingt es recht regelmäßig, tradierte Rollenbilder aufzubrechen und Raum für Queerness und Diversität zu schaffen – auch wenn das im stressigen Familienalltag nicht immer ganz einfach ist. So wachsen die Kinder in einem Umfeld auf, in dem es die unterschiedlichsten Lebensformen und -konzepte gibt. Sie sehen, dass es in Familien keine festgelegten Rollen geben muss, sondern fast alles aushandelbar ist. Und sie gendern mittlerweile ganz beiläufig, weil wir es ihnen vorleben.

Das ist kein radikal neues Lebens- und Erziehungskonzept, das ist mir klar. Viele Freund*innen und Bekannte leben (und erziehen) ähnlich. Aber es ist eben auch nicht das heteronormative Leben, auf das ich einmal angesprochen wurde. Die Kindheit unserer Söhne ist deutlich diverser, als es meine war. Hoffentlich profitieren sie davon.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA*-Themen. Alle Beiträge

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