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Widerstandslos in den Digitalzwang?

Ticket kaufen oder Überweisung abschicken nur noch per App: Immer mehr Anbieter verlagern ihre Angebote ausschließlich auf die Smartphones ihrer Kundschaft. Welche Konsequenzen dieser Digitalzwang hat und mit welchen Apps man sich unabhängiger von Google und Co. machen kann.

Die obere linke Ecke eines Smartphone-Bildschirms ist zu sehen. Dort sind zwei Buttons zu sehen. Auf einem Button steht "Get it on Google Play", auf dem anderen "Download on the AppStore"
Foto: IMAGO / Zoonar

Die Idee für diesen Text war, Tipps und Quellen zu sammeln, die helfen, Android-Smartphones so zu nutzen, dass sie das eigene Nutzungsverhalten nicht verfolgen (Tracking) und ohne, dass ein Google-Konto nötig ist. Das ist interessant für alle, die unbeobachtet von der Werbe- und Tracking-Industrie sein und ihr Gerät auch wirklich selbst in der Hand haben wollen. Schließlich geht es niemanden etwas an, wer welche App wie nutzt. Entweder kontrollierst du dein Smartphone oder es kontrolliert dich ist die Devise. Der Einstieg in die Welt der unabhängigen Apps ist ein perfektes Vorhaben für den Herbst. Dieser Text hätte, in Kurzform, etwa so ausgesehen:

Android ohne Tracking und Google-Konto

Mittlerweile wissen es wirklich alle: Nahezu jedes Endgerät, jede Webseite und jede App erhebt Daten über das Nutzungsverhalten. Diese Daten werden gesammelt, in Profilen gebündelt und gehandelt. Eine wirklich gute Motivation, sich auf die Suche nach Apps zu machen, die das eigene Privatleben respektieren, sind zum Beispiel die Recherchen von Netzpolitik.org zu diesem Thema. Wer möglichst konsequent sein möchte, installiert ein trackingfreies Betriebssystem (OS / Operating System), das unabhängig von einem Google-Konto nutzbar ist. Es ist Recherche notwendig, um herauszufinden, welches OS für die eigenen Belange am besten geeignet ist und auf dem eigenen Gerät funktioniert. Eine Übersicht mit fünf OS bietet beispielsweise die Free Software Foundation Europe.

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Gut, dass es Alternativen gibt

Ohne Google-Konto auch keine Apps von Google Play. Aber auch dafür gibt es gut funktionierende Alternativen. Die Forschungsgruppe am Karlsruher Institut für Technologie bietet eine Reihe von simplen, nützlichen datenschutzfreundlichen Apps. Geschätzt und weit verbreitet ist der F-Droid Store. Hier gibt es ausschließlich freie und quelloffene Apps inklusive Hinweisen etwa zu Merkmalen, die möglicherweise unerwünscht sind. Wer hier nicht fündig wird, kann sich beispielsweise im Aurora Store umsehen. In jedem Fall sollte aber nicht einfach jede beliebige App installiert werden. Das Infoportal mobilsicher.de bietet eine Checkliste, die hilft, Apps zu beurteilen und informiert in Blogbeiträgen über das Thema. Äußerst hilfreich ist auch der AppChecker, der zu wirklich vielen Apps angibt, wer welche Daten bekommt. Datenschutzfreundliche App- und Softwarealternativen stellen auch die Projekte Privacy Score und switching.software vor. Unterstützung vor Ort bieten zum Beispiel CryptoParty-Veranstaltungen.

Leider ist es noch immer so, trotz aller Möglichkeiten, dass, wer unabhängig von Google und Tracking leben möchte, immer wieder nachjustieren muss. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Google Maps. Seit März diesen Jahres verlangt die App Google Play Services, auch unter googlefreien Betriebssystemen wie GrapheneOS. Der wunderbare Mike Kuketz hat zur Abhilfe eine Anleitung erstellt. Digitale Grundrechte in Anspruch zu nehmen ist leider eine Endlosbaustelle.

Mit dem Nein wird es interessant

Für Android-Geräte stehen knapp 2,5 Millionen digitale Helferlein zur Verfügung. Ein Paradies der Digitalisierung! Weil sie einfach installiert sind, lässt sich mit Apps jedes Smartphone einfach in einen individuellen digitalen Werkzeugkasten verwandeln. Die kleinen Kacheln bieten mit nur etwas Fingerwischerei unerschöpfliche Informationen, Dienstleistungen oder auch Kontakt zu anderen Menschen. Das Angebot ist riesig – die Freiheit ist grenzenlos. Aber dann, ganz plötzlich, mit einem Nein zu Tracking und Abhängigkeit verwandelt sich das App-Universum in eine Welt voller Intransparenz, Ärger, Zwänge, und Barrieren. Nein zu Tracking zu sagen ist aufwendig, aber dank Alternativen immerhin für einige Menschen möglich.

Das wäre in etwa der geplante Text über Apps. Aber es gibt einen Aspekt, der bisher kaum juristisch und politisch diskutiert wird und für den es schlecht mit technischen Lösungen aussieht. Um diesen Aspekt geht es jetzt: den Digitalzwang.

Ist das schon Zwang?

Die Hindernisse die mit dem Nein zu Tracking und Google auftauchen, zwingen Menschen, die keine Zeit oder Kapazitäten für alternative Lösungen haben, in Abhängigkeit – teilweise in die Aufgabe des Grundrechts auf Privatsphäre. Wer nicht getrackt werden will, läuft Gefahr, von Informationen, Kontaktmöglichkeiten und Services ausgeschlossen zu werden. Seit Jahren läuft hier technisch, politisch und juristisch die Auseinandersetzung, wenn über Datenschutzrecht und dessen Durchsetzung gestritten wird.

Wer sich die Zeit nimmt, die Hindernisse zu überwinden, das eigene Smartphone mit Betriebssystem und Apps auch wirklich unter die eigene Kontrolle zu bringen, kann trotzdem gegen eine Mauer laufen. Das ist mehr als individuell frustrierend. Denn hier geht es um gesellschaftliche Teilhabe, Daseinsfürsorge und faire Behandlung aller Menschen, egal welche Smartphones sie nutzen und egal, ob sie überhaupt digitale Geräte besitzen und nutzen oder nicht. Diese Mauer heißt App-Zwang.

Was ist das? Kurz gesagt: Wenn etwas ohne App nicht mehr geht, ist es Appzwang. Und wenn etwas ohne digitale Geräte nicht mehr geht, ist es Digitalzwang. Das ist dann der Fall, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, mit vertretbaren Aufwand, essentielle Tätigkeiten wie eine Bank- oder Bezahl-Transaktionen durchzuführen, ein Ticket zu kaufen, einen Termin zu buchen, die elektronische Patientenakte zu nutzen, oder ein Post-Paket zu empfangen. Das ist gleich mehrfach unfair.

Problemabgabe an die User

Banken, Post-Dienstleister, Versicherungen oder auch die Bahn machen es sich einfach: „Installieren Sie unsere neue App und genießen sie die komfortablen Funktionen per Fingerzeig“, heißt es. Klingt bequem. Ist es aber nicht: Der Akku ist alle? Das Smartphone geklaut oder kaputt? Das mobile Internet will nicht? Sie können ein Smartphone nicht bedienen oder kein Geld für ein neues Gerät? Sie wollen oder müssen ohne Smartphone leben? Die App funktioniert aus irgendwelchen technischen Gründen nicht?

Der Bank, der Versicherung oder der Bahn kann das egal sein. Sie verlangen von der Kundschaft, ein aktuelles und wahlweise von Google- oder Apple abhängiges System zu nutzen. Die Verantwortungen und Kosten, die durch den Digitalzwang entstehen, geben die Anbieter an ihre Kundschaft durch. Juristisch und politisch steht hier die Diskussion noch aus. Mindestens im Bereich der Daseinsvorsorge (Strom- und Wasserversorgung, Müllabfuhr, Post, Verkehrsunternehmen etc.) wird der Digitalisierung die Frage nach einem Recht auf analoge Teilhabe ganz ohne Internet und Smartphone gestellt werden müssen.

Vernachlässigung analoger Strukturen

2022 hat der Spanier Carlos San Juan, Arzt im Ruhestand, einen bemerkenswerten Protest gestartet. Die Bankfiliale in seiner Nähe wurde geschlossen – Überweisungen und Terminvergabe waren nur noch mit Smartphone möglich. Ohne App war der Rentner plötzlich von seinem Konto ausgesperrt. Eine Petition machte auf das Problem aufmerksam und die Bank verbesserte ihr Angebot.

Die Aktion lenkt den Blick auf einen schleichenden Prozess im Schatten der Euphorie der Digitalisierung: Die Vernachlässigung der analogen Infrastruktur, die wirklich alle Menschen nutzen können, die im Zweifel auch dann funktioniert, wenn eine Schadsoftware zugeschlagen hat und die unabhängig von Tech-Konzernen betrieben werden kann. Das ist ein reales Alltagsproblem, aber auch eine Frage von Freiheitsrechten in der Demokratie. Der Publizist und Philosoph Alexander Grau sagt: „Nur der Mensch, der die Möglichkeit hat, ein analoges Leben zu führen, ist im eigentlichen Sinne frei“ und forderte 2022 in einem Beitrag ein „Grundrecht auf eine analoge Existenz“.
Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hat diese Forderung politisch übernommen, während das vom bundesdeutschen Digitalminister Volker Wissing (FDP) beworbene Digitalprogramm das Gegenteil vorsieht: „Wir müssen das Analoge überwinden und Doppelstrukturen beenden“, heißt es dort.

Wie oft erlebt ihr Zwang im Digitalen?

Digitalzwang kann viele Formen annehmen. Sozialer Druck nötigt Menschen dazu, Apps zu nutzen, die sie eigentlich nicht nutzen wollen. Werbung, Tracking und Spiel- und Unterhaltungsformate, die abhängig machen können, werden Internet-Nutzer:innen rund um die Uhr aufgenötigt. Ohne App kein Online-Banking und ohne Smartphone kein Sozialleben. Kein Google-Konto heißt häufig: Kein Zugang. Im Hintergrund agierende Algorithmen und KI-Systeme filtern und sortieren Inhalte, ob der User will oder nicht. Hochgeschraubte Systemanforderungen erzwingen die Neubeschaffung von Geräten und vergrößern die Elektroschrott-Haufen.
Wer sich darüber austauschen möchte, kann diese Hashtags nutzen: #Appzwang #Digitalzwang #RightToOffline #RightToAnalog – wirklich ganz freiwillig – aber auch digital begrenzt.

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Autor*innen

Friedemann Ebelt engagiert sich für digitale Grundrechte. Im Campact-Blog schreibt er darüber, wie Digitalisierung fair, frei und nachhaltig gelingen kann. Er hat Ethnologie und Kommunikationswissenschaften studiert und interessiert sich für alles, was zwischen Politik, Technik, und Gesellschaft passiert. Sein vorläufiges Fazit: Wir müssen uns besser digitalisieren! Alle Beiträge

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