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Der Hype, der keiner ist

Von J.K. Rowling über Alice Weidel bis Alice Schwarzer: Die Debatte um trans* Jugendliche wird hart und emotional geführt. Doch was ist wirklich dran am vermeintlichen Trans-Hype?

Eine Peron auf der CSD-Parade in Eisenach im September 2024 trägt zahlreiche Buttons an einer schwarzen Bauchtasche.
Foto: IMAGO / Müller-Stauffenberg

„Es ist hip, trans zu sein“, findet der Münchner Jugendpsychiater Alexander Korte in der taz. Alice Schwarzer berichtet in der Emma über „tausende junger Menschen, die zurzeit die Transpraxen stürmen“, J.K. Rowling sorgt sich um „traumatisierte Detransitionisten“ – also Menschen, die den Prozess der Geschlechtsangleichung rückgängig machen. AfD-Chefin Alice Weidel will Kinder vor einer „bescheuerten Trans-Pop-Kultur“ schützen. Und die katholische Tagespost berichtet, dass weltweit die Zahlen an pubertierenden Mädchen mit einem „Transitionswunsch“ explodieren würden. Was ist dran an diesen Vorwürfen? Gibt es ihn wirklich, den sogenannten Trans-Hype?

Was ist dran am Trans-Hype?

Zunächst einmal die Zahlen: Rund 0,3 bis 0,5 Prozent der Erwachsenen bezeichnen sich laut internationalen Studien selbst als trans*. Bei Jugendlichen sind es zwischen 1,2 und 2,7 Prozent. Und tatsächlich ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können, in den letzten Jahren gestiegen – teilweise um das Zehnfache

Im Interview mit Focus Online führt der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer das auf ein verändertes gesellschaftliches Klima zurück. Mehr Offenheit und mehr Akzeptanz würden dafür sorgen, dass sich „sowohl die Selbstfindungsprozesse als auch die Outings in frühere Lebensphasen in Kindheit und Jugend“ verlagern, so Römer. 

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Unsere Gesellschaft ändert sich

Einen Transgender-Hype kann der Psychiater nicht erkennen. Vielmehr würden sich die Jugendlichen, mit denen er spricht, Behandlungen und mögliche Eingriffe sehr genau überlegen. Das sieht auch der Lesben- und Schwulenverband so: „Eine trans*freundliche Gesellschaft führt auch nicht dazu, dass es mehr trans* Menschen gibt, sondern dazu, dass sich mehr Personen outen und/oder für eine Transition entscheiden.“

Wohin mehr gesellschaftliche Offenheit führen kann, lässt sich gut am Beispiel von schwulen, lesbischen und bisexuellen Jugendlichen aufzeigen. Ein Outing bereits in der Schule – vor einigen Jahrzehnten wäre das noch so gut wie undenkbar gewesen. Heute ist das anders. Unterm Strich gibt es nicht mehr homosexuelle Menschen. Aber immer mehr finden schon früher im Leben den Mut, sie selbst zu sein.

Wer von einem vermeintlichen Trans-Hype spricht, ignoriert zudem, dass ein Coming-out als trans* in der Regel keine angenehme Erfahrung ist. Diesem Prozess geht meist ein langer Leidensdruck voraus. Er wird von Diskrimierungs- und Ablehnungserfahrungen, Mobbing in der Schule oder Konflikten in Familie und im Freundeskreis begleitet.

Was treibt also Menschen wie Alice Schwarzer oder Alice Weidel an, sich so hart, polemisch und verletzend zu äußern? Bei Weidel ist die Sache recht einfach gelagert – sie bespielt mit ihren Äußerungen die rechtspopulistische Klaviatur und versucht, sich bei ihrem transphoben, genderfeindlichen Publikum anzubiedern. Alice Schwarzer erfährt auch von vielen Feministinnen Kritik für ihren trans-feindlichen Kurs. Doch sie schafft es mit ihren Äußerungen immer wieder in die Medien, hat sogar ein Buch zum Thema geschrieben. Reichweite und Auflage auf dem Rücken einer Minderheit? Ein trauriger, aber nicht ganz abwegiger Gedanke. 

Mehr mit den Menschen reden als über sie

Problematisch wird es, wenn die Debatte immer weiter verrutscht. Wenn mehr darüber geredet wird, dass Männer das neue Selbstbestimmungsgesetz der Ampel nutzen könnten, um sich als Frau auszugeben und in geschützte Frauenräume einzudringen, als über die tatsächliche Erleichterung, die es den Betroffenen verschafft. Oder wenn in Zeitschriften wie der Emma eher über die (wenigen) Menschen berichtet wird, die den Übergang vom einen ins andere Geschlecht bereuen, als über diejenigen, die nach einer Hormonbehandlung oder Geschlechtsangleichung glücklich sind. Wenn Schreckensszenarien ausgemalt werden von 15-Jährigen, die sich angeblich massenhaft operieren lassen, während in diesem Alter tatsächlich tiefgehende Gespräche sowie eine genaue Diagnose im Vordergrund stehen.

Was wir brauchen, ist mehr Ruhe und Sachlichkeit. Wir sollten zuhören und vor allem diejenigen zu Wort kommen lassen, um die es geht – also mehr mit als über trans* Menschen sprechen. Dafür müssen Kritiker*innen begreifen und akzeptieren: Nicht allein die Genitalien bestimmen das Geschlecht, die Sache ist deutlich komplexer. Es ist vor allem das geschlechtliche Selbsterleben. Die eigene Geschlechtsidentität ist nicht etwas, das sich jemand aussucht, sondern tief im Innern der Menschen angelegt. Das lässt sich auch therapeutisch nicht ändern. 

Ganz entscheidend ist außerdem, ob die soziale Akzeptanz in unserer Gesellschaft weiter wächst. Für Menschen, die nicht in heteronormative Geschlechterrollen passen. Für Geschlechterrollen, die anders ausgelegt und interpretiert werden. Für non-binäre und transidente Menschen – Kinder, Jugendliche und Erwachsene –, die keinem Trend hinterherrennen, sondern mit ihrem Coming-out einen mutigen Weg eingeschlagen haben. Einem Weg zu sich selbst.

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Autor*innen

Henrik Düker ist Politikwissenschaftler und Soziologe. Bei Campact arbeitet er als Redakteur, im Blog beschäftigt er sich vor allem mit LGBTQIA*-Themen. Alle Beiträge

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