Wasser Bundestagswahl CDU Klimakrise SPD Antirassismus Klassenkampf Digitalisierung Medien WeAct

Protest wirkt: Wie über 1,5 Millionen Menschen Merz und der AfD die Stirn boten

Vor wenigen Wochen gingen weit über 1,5 Millionen Menschen mit uns auf die Straße. Gegen eine Zusammenarbeit von Merz-Union und AfD und für den Schutz unserer Demokratie. Die Proteste haben gewirkt: Friedrich Merz rauschte in Umfragen runter und fing an, uns zu drohen. Mit einer „kleinen Anfrage“ im Bundestag versuchte er uns einzuschüchtern – und erreichte das Gegenteil.

Protest gegen die Zusammenarbeit von Merz & AfD beim Lichtermeer in Berlin.
So wie hier beim Lichtermeer am 25. Januar in Berlin gingen in unzähligen Dörfern und Städten die Menschen auf die Straße. Foto: Chris Grodotzki / Campact

Ich erinnere mich noch genau, als ich in Hamburg oder Berlin vor Hunderttausenden Menschen stand. Es war kalt und dunkel, doch dann leuchtete ein Licht nach dem anderen auf. Aus wenigen Lichtern wurden weit über 1,5 Millionen und ergaben ein Lichtermeer der Hoffnung in diesen dunklen Zeiten. Die rechtsextreme AfD stand damals in Umfragen bei 20 Prozent, die Union bei deutlich über 30.

Willkommen im Campact-Blog

Schön, dass Du hier bist! Campact ist eine Kampagnen-Organisation, mit der über 3,5 Millionen Menschen für progressive Politik streiten. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.

Wie Friedrich Merz die AfD jubeln ließ

Nach dem Attentat in Aschaffenburg verlor Friedrich Merz die Geduld. Er nahm zum ersten Mal eine Abstimmung mit der AfD in Kauf. Ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag jubelten die Rechtsextremen unter Alice Weidel, als die Abstimmung zur de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl eine Mehrheit fand. Ein Novum für unsere Demokratie – und ein Schock für uns alle.

Raus aus der Schockstarre

Doch kurz nach der Schockstarre haben wir uns zusammengetan. In unzähligen Dörfern und Städten gingen die Menschen auf die Straße, getragen von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen. Wir riefen zum Schutz unserer Demokratie auf und haben Friedrich Merz klargemacht: Eine Zusammenarbeit mit der AfD ist unentschuldbar! Über 500.000 Menschen unterzeichneten unseren Appell.

Demokratinnen und Demokraten dürfen sich nicht mit jenen gemein machen, die unsere liberale Demokratie und die Vielfalt des Landes am liebsten auf dem Scheiterhaufen der Geschichte sehen würden oder mit denen, die die Terrorherrschaft der Nazi-Diktatur als „Vogelschiss“ der Geschichte abtun. Diese Botschaft war unüberhörbar.

Wie sich Friedrich Merz Trump-Methoden annimmt

Doch Friedrich Merz nahm die Botschaft als Kampfansage auf. Statt auf diejenige zuzugehen, die Demokratie und Grundrechte schützen wollen, suchte er die Konfrontation. Statt den Fehler einzugestehen, griff er zuerst SPD und Grüne an, warf ihnen vor, sie hätten die Mehrheit von Union, FDP und AfD erst ermöglicht. Allein das war schon falsch, aber danach gingen er und seine Union auf uns alle los. 

Wenige Tage nach der Abstimmung drohte die Merz-Union zivilgesellschaftlichen Organisationen die Mittel (die wir im Fall von Campact gar nicht bekommen) zu kürzen, sollten wir weiter zu den Demos zum Schutz unserer Demokratie und gegen eine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD aufrufen. Der Haushaltsexperte der Union warnte zivilgesellschaftliche Organisationen, dass – sollte die Union regieren – Gelder gestrichen werden, wenn sie weiter für Demos mobilisieren. Und Campact unterstellte die Union, dass unsere Demos mit öffentlichen Geldern finanziert würden – obwohl wir noch nie einen Euro an staatlicher Finanzierung angenommen haben.

Schmähkampagne von Nius, BILD und Welt

Das war nicht nur eine direkte Einschüchterung, sondern fußte auf einer Schmähkampagne, die der hetzerische Kanal Nius wenige Tage zuvor gestartet hatte. Von dort verbreitete sie sich über BILD bis in die WELT. Alle drei Medien nutzten die rechtsextreme Verschwörungstheorie des „Deep State“, also des „tiefen Staates“, für ihre Kampagne. Nius und Co. erweckten den Eindruck, dass die Organisation der Demonstrationen mit Steuermitteln finanziert worden sei. Das ist natürlich blanker Unsinn, aber das Ergebnis mündete in einer ersten Drohung von Seiten der CDU.

Damit aber nicht genug. Den Vogel schoss die Union ab, als sie im Bundestag wenige Wochen später eine „kleine Anfrage“ stellte. 551 Fragen und ein Ziel: Uns noch mehr einzuschüchtern. Erneut konnte die rechtsextreme AfD ihr Glück kaum fassen, denn die Anfrage las sich wie aus ihrer Feder. Die Merz-Union übernahm damit offiziell die Arbeitsweise der AfD und bediente sich Methoden, die der Autokrat Viktor Orbán in Ungarn oder neuerdings Donald Trump in den USA anwenden – politische Gegner mundtot zu machen.

Die Feinde der Demokratie

Damit brachte Merz das Fass zum Überlaufen. Eine Welle der Solidarität erreichte uns. Immer mehr Menschen schlossen sich uns an und wandten sich direkt an Friedrich Merz. Die Feinde der Demokratie sind nicht eine starke und vielfältige Zivilgesellschaft, sondern rechtsextreme Gruppierungen und die AfD – und die fühlen sich so stark wie nie. Die Daten zeigen: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten erreichte 2024 ein Rekordhoch. Bereits 2023 gab es einen Höchststand von 6.992 rechtsextrem motivierten Straftaten, 2024 waren es dann über 9.800 Fälle. 

Rechtsextreme greifen jene an, die sich ihnen in den Weg stellen. Die Lage ist dramatisch und umso fataler ist es, wenn von Seiten der Union die Brandmauer der Bürgerlichen, die sich den Rechtsextremen entgegenstellt, angegriffen wird – ob im Bundestag oder auf der Straße. 

Bundesregierung antwortet auf „Kleine Anfrage“

Am Mittwoch gab es dann von der Bundesregierung eine Antwort auf die kleine Anfrage der Union – und was für eine! So schreibt die Bundesregierung unter anderem: „Der freiheitliche demokratische Verfassungsstaat lebt von zivilgesellschaftlichem Engagement für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben und dem Einsatz gegen menschen- und demokratiefeindliche Phänomene. Es ist die Verantwortung des Staates, im Rahmen einer wehrhaften Demokratie für den Erhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einzutreten. (…) Die Bundesregierung sieht keine Anhaltspunkte für die in der Kleinen Anfrage enthaltene Behauptung, wonach die geförderten ‚NGOs eine Schattenstruktur‘ bildeten.“

Danke!!
Teile jetzt diese Grafik

Anders gesagt: Die Bundesregierung zerpflückt die Verschwörungstheorie der Union und mahnt sie an, die Verfassung zu respektieren. Und die Regierung geht noch weiter: Es ist nicht ihre Aufgabe, „allgemeine Informationen über die Aktivitäten und Kontakte von Organisationen zu sammeln, zu überwachen oder zu bewerten.“ Was für eine Ansage und vielleicht versteht Friedrich Merz, dass seine perfiden Angriffe der letzten Wochen nur die Feinde der Demokratie stärken. Denn während seine Partei mit deutlich unter 30 Prozent bei der Bundestagswahl abgestraft wurde, steht die AfD solide da und muss nichts weiter machen, als auf die nächsten Schritte der Union zu warten.

Halten wir zusammen gegen die Demokratiefeinde Europas

Und daher mein Appell: Lieber Friedrich Merz, liebe Union, ihr habt von der Bundesregierung eine Antwort erhalten, die ganz klar sagt: Die Zivilgesellschaft bewegt sich auf dem Fundament der Verfassung und gemeinnützige Organisationen dürfen „politisch aktiv sein“. 

Lasst uns jetzt die Gräben der letzten Wochen nicht noch vertiefen. Denn noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg ist Europas Demokratie so bedroht wie jetzt – von innen durch Rechtsextreme der AfD oder Parteien in anderen Ländern Europas und von außen von Trump und Putin. Die Proteste der letzten Wochen von Seiten der kritischen Zivilgesellschaft sind kein Angriff gegen Sie persönlich, Herr Merz, sondern eine Ermahnung. Eine Ermahnung, dass man sich nicht gemein mit den Demokratiefeinden macht – ohne Wenn und Aber. 

Genau deshalb werden unsere Mahnungen auch nicht abebben. Im Gegenteil. Zu einer lebendigen Demokratie gehört eine kritische Zivilgesellschaft. Wer diese unterdrücken will, rüttelt an den Grundfesten des Rechtsstaats. Dass wir von Campact dabei nicht tatenlos zusehen werden, versteht sich von selbst.

TEILEN

Autor*innen

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Er gründete 2002 gemeinsam mit Felix Kolb die Bewegungsstiftung, die Kampagnen und Projekte sozialer Bewegungen fördert. 2004 initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand. Zudem ist er Mitglied des Aufsichtsrats von WeMove, der europaweiten Schwesterorganisation von Campact, sowie der Bürgerbewegung Finanzwende. Alle Beiträge

Auch interessant

Bundestagswahl, CDU, Klimakrise, SPD Koalitionsverhandlungen und Klima – eine Krise Antirassismus, CDU, Klassenkampf Die reicher, wir ärmer CDU, Demokratie Antifaschisten in der Union verzweifelt gesucht CDU, Montagslächeln Montagslächeln: Versprechen brechen Demokratie, Globale Gesellschaft, Pressefreiheit Trumps Angriff auf die Pressefreiheit AfD, Demokratie, Rechtsextremismus So greifen AfD und Co. die Zivilgesellschaft an Demokratie, Montagslächeln, Wahlen Montagslächeln: Hamburg-Wahl CDU, Gemeinnützigkeit „Kleine Anfrage“: CDU greift Zivilgesellschaft an  Demokratie, Erinnern, Rechtsextremismus Anstand! Eine Polemik Bundestagswahl, Demokratie Taktisch wählen – und was Du kurz vor der Wahl sonst noch wissen musst