Die kenne ich doch…
Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hatten wohl nur die wenigsten auf dem Zettel. Eine Unbekannte ist die CDU-Politikerin aber nicht – vor allem wegen ihrer queer- und homofeindlichen Äußerungen.

„Was war da noch mal?“ Das war mein erster Gedanke, als ich hörte, Katherina Reiche soll neue Wirtschaftsministerin werden. Google hat schnell für Klarheit gesorgt. Die heute 51-Jährige trat 1992 in die Junge Union ein und saß ab 1998 für die CDU im Bundestag. Sie war außerdem Parlamentarische Staatssekretärin, zunächst im Umweltministerium und dann im Verkehrsministerium. So weit, so unaufgeregt.
2015 ging die Diplom-Chemikerin direkt aus dem Bundestag in die Wirtschaft – ohne Wartezeit, was damals für einige Kritik sorgte. Kurz darauf einigte sich der Bund auf eine Karenzzeit von bis zu 18 Monaten bei solchen Wechseln. Zuletzt arbeitete sie als Vorstandsvorsitzende von Westenergie in Essen.
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Katherina Reiche: Nur konservativ oder doch homophob?
Doch es sind andere Dinge aus ihrer Zeit als aktive Politikerin, die bei mir hängen geblieben sind. „Unsere Zukunft liegt in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ Diesen Satz haute Reiche 2012 in einem Interview mit der Bild-Zeitung raus – in einer Zeit, in der ich gerade damit beschäftigt war, meine eigene queere Familie zu gründen. Sie betonte damals, die Gesellschaft werde „nicht von kleinen Gruppen zusammengehalten, sondern von der stabilen Mitte“. Ein Satz, der problemlos auch AfD-Chefin Alice Weidel über die Lippen kommen könnte.
Ihre queerfeindliche Haltung hat sich schon früher gezeigt. 2002 unterstützte die damals noch nicht einmal 30-jährige Politikerin die Klage der unionsgeführten Länder Bayern, Sachsen und Thüringen gegen das Lebenspartnerschaftsgesetz. Reiche fand, es sei ein „Angriff auf Ehe und Familie“ und gehe „weit über das hinaus, was ich bereit wäre zu regeln“. 2011 bezeichnete sie Homo-Paare in einer Sat.1-Talkshow als „nicht normal“ – und kam zu dem Schluss, dass Kinder bei Schwulen und Lesben definitiv schlechter aufgehoben seien als bei Hetero-Paaren.
Reiche und Guttenberg – das neue Berliner Power-Couple
Natürlich liegt die Frage auf der Hand, ob man einer Politikerin zehn oder sogar zwanzig Jahre alte Äußerungen heute noch vorwerfen darf. Die Antwort: Klar. Muss man sogar. Denn distanziert hat sie sich davon bislang nicht. Als Kabinettsmitglied steht sie jetzt jedoch wieder im bundespolitischen Rampenlicht – und muss diese Kritik entweder aushalten oder Stellung beziehen.
Zwar musste ihr Haus einige Kompetenzbereiche an andere Ministerien abgeben, etwa den Klimaschutz. Dennoch soll Reiche ein prominentes Gesicht im Merz-Kabinett sein. Dafür sorgt allein schon ihre Beziehung zu Ex-Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Noch viel wichtiger: Gesellschaftliche Akzeptanz von queerem Leben muss sich in allen Bereichen des Alltags zeigen – auch in der Arbeitswelt und der Wirtschaft, also Reiches Aufgabenfeld.
Das Kabinett Merz: Queerfreundlich geht anders
Als Wirtschaftsministerin hat Katherina Reiche wenig direkten Einfluss auf Gesetze, die die queere Community betreffen. Aber gesellschaftspolitisch scheint sie ähnlich konservativ zu ticken wie ihr Chef. Auch Kanzler Friedrich Merz ist in den vergangenen Jahren immer wieder durch queerfeindliche Äußerungen aufgefallen – zuletzt Anfang 2025, als er im TV-Duell mit Olaf Scholz sagte, er könne die US-Politik, nur zwei Geschlechter anzuerkennen, nachvollziehen.
Auch in den Rest des Kabinetts – zumindest die Riege von CDU und CSU – sollten queere Menschen nicht allzu viel Hoffnung setzen. Forschungsministerin Dorothee Bär, Innenminister Alexander Dobrindt, Landwirtschaftsminister Alois Rainer, Verkehrsminister Patrick Schnieder und Chef des Kanzleramts Thorsten Frei stimmten 2017 gegen die Ehe für alle. Sowohl Bär als auch Frei hatten sich außerdem mit großem Eifer gegen das Selbstbestimmungsgesetz ausgesprochen.
Wenn Jens Spahn Dein bester Verbündeter ist
Und dann gibt es ja noch Jens Spahn – den wahrscheinlich prominentesten schwulen Politiker Deutschlands. Als Fraktionschef der Union im Bundestag wird er eine zentrale Machtfigur in der schwarz-roten Regierung sein. Nur: Der 45-Jährige ist schwul, aber stockkonservativ.
Zwar hat sich Spahn für die Ehe für alle und das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben eingesetzt, aber auch das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Regierung hart kritisiert. In einem Interview mit dem rechtspopulistischen Nius-Portal bemängelte er, dass aus der Superidee der Gleichberechtigung Ideologie gemacht würde und sagte: „Ich bin nicht queer, ich bin schwul.“
Ein Satz, der deutlich macht, für wen Spahn sich wohl nicht engagieren wird, nämlich die queere Community in all ihren Facetten. Und der – wie schon bei Reiche – leider doch zu deutlich an Alice Weidel und ihr „Ich bin nicht queer“-Zitat erinnert.