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Eine Gedanke – eine Grenzüberschreitung? Auf dem jährlichen Sommerfest des Verlags Antaios trieb Erik Lehnert eine altbekannte Sorge um: Das Aussterben des „eigenen Volkes“. Den „Volkstod“ beklagt das Milieu um den Verlagsleiter Götz Kubitschek nicht erst bei dem Fest in Schnellroda. Von dem Rittergut in der kleinen Gemeinde in Sachsen-Anhalt führt das Netzwerk des Verlegers im vorpolitischen Raum eine Schlacht gegen eine diverse Bevölkerung.

Und diesen Feldzug führt es längst auch im politischen Raum. Vom Schreibtisch des Rittergutes ist Lehnert unlängst zum Arbeitstisch in den Landtag gewechselt. Die gewählte Wortwahl des Fraktionsgeschäftsführers der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion hat so auch eine neue Gewichtung. Auf der Bühne hinterfragte der Publizist im öffentlichen Schatten von Kubitschek die Bedeutung des Grundgesetzes, wenn das Gesetz nicht die eigene Bevölkerung schütze.

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Spitzen des Verlags Antaios ohne „Distanzeritis“

Bei dem Fest Anfang Juli war Lehnert der Applaus des Publikums gewiss. Seit fünf Jahren kommen in Schnellroda zu dem Event gewichtige AfD-Politiker*innen und szenebedeutende Publizist*innen zusammen. Sie pflegen Kontakte und treiben Debatten voran. Ein who-is-who der Bewegungselite, die sich der Gefolgschaft präsentiert. Ohne „Distanzeritis“ – wie es hier so heißt – tauschen sich die Gäste aus der Identitären Bewegung, AfD und Die Heimat (einst NPD) aus.

Im Gasthaus „Zum Schäfchen“, das nur wenige Schritte vom Rittergut entfernt liegt, führte Lehnert offen vor dem Szenepublikum aus, dass die AfD sich nicht durch die Verbotsdebatte irritieren lassen sollte. Kompromisse in den Positionen wären kaum angebracht. Der enge Vertraute von Kubitschek, mit dem er zusammen das mittlerweile aufgelöste „Institut für Staatspolitik“ (IfS) aufbaute, fragte dann auch nur rhetorisch: „Es dreht sich um die Frage, was an erster Stelle steht – die Verfassung oder das Überleben des eigenen Volkes … wenn die Verfassung verhindert, dass wir überleben, muss man eben anders vorgehen.“

Radikale Positionen vs. gemäßigtes Außenbild

Diese Wortwahl könnte einen Weg gegen das Grundgesetz mehr als andeuten. Die Worte laden zur Spekulation ein. Denkt hier ein AfD-Geschäftsführer an einen Tag X, einen Putsch? Einzelne AfD-Mitglieder von den Sächsischen Separatisten und der Prinz-Reuß-Gruppe sind schon wegen terroristischen Aktivitäten angeklagt. In der Debatte um ein Verbot ist das ein oft ausgeblendeter Fakt. Denkt hier ein Verantwortlicher im Kubitschek-Netzwerk an eine „Volkserhebung“ gegen den „Großen Austausch“ oder an eine Vertreibung ohne gesetzliche Grundlage?

Mit seinem Ansatz, keine Positionen aufzuweichen, widerspricht Lehnert seinem Arbeitgeber nicht. Der AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende in Brandenburg, Hans-Christoph Berndt, sprach sich gegen Mäßigungsversuche der AfD-Bundesführung wegen eines möglichen Verbotsverfahrens aus. Er selbst kommt doch auch aus dem rechtsextremen Verein „Zukunft Heimat“ und fordert eine „Remigration“.

Diese Positionierungen erfolgen für die Parteiführung um Alice Weidel und Tino Chrupalla nicht bloß zeitlich ungünstig. Sie laufen gegen die Strategie verbal abzurüsten, um nicht radikal zu erscheinen. In der AfD und in ihrem vorpolitischen Milieu löste unlängst schon Maximilian Krah durch eine moderatere Taktik barsche Kritik aus. Dass gegen den ehemaligen AfD-Europaabgeordneten und jetzigen Bundestagsmandatsträger wegen Verdacht der Bestechlichkeit durch Zahlungen aus China ermittelt wird, verursacht hingegen keine laute Wut im Milieu. Einen nachhaltigen Krach mit dem Kubitschek-Umfeld bewirkte Krah jedoch bereits vor Wochen, als er warnte, alle „ethnischen Nicht-Deutschen in einen Topf zu werfen“ und selbst bei „Staatsangehörigen, pauschal von ‚Remigration‘ zu reden“. Diese Positionierung könnte einem möglichen Verbot der AfD zuspielen.

Steht eine Spaltung bevor?

In einem Podcast waren Krah und Kubitschek schon im Juni aneinander geraten. Ellen Kositza und Kubitschek griffen Krah im „Kanal Schnellroda“ wegen seines „inhaltlichen Richtungswechsels“ an. Krah hätte doch im Europawahlkampf noch ein moderates Agieren vehement abgelehnt. Der AfD-Politiker lehnt jetzt aber nicht alleine diese Strategie ab, sondern er hinterfragte auch die Positionierung für eine homogene Gemeinschaft. 2023 betonte er im Antaois-Verlag erschienenen „Politik von rechts – Ein Manifest“ noch, dass die „Remigration“ forciert werden müsste; entweder, in dem die Menschen mit Migrationshintergrund sich „assimilieren“ oder gehen.

Mit der Kritik an der „Remigration“ trifft Krah vor allem Martin Sellner. Der Gründer der Identitären Bewegung, der beim Geheimtreffen in Potsdam vor AfD-Funktionär*innen, CDU-Mitlieder und Unternehmer*innen seine Rückführungsvorstellungen darlegte, sah vor Jahren bereits die Gefahr kommen, dass im eigenen Milieu ein resignativer Fatalismus aufkommen könnte. In „Strategie der Sammlung – Ein Plan B für unser Volk“ beklagte er, dass das „Projekt der Remigration“ und damit die Vision eines relativ homogenen, „deutschen Deutschlands“ aufgegeben werde. „Dem ist, in aller gebotenen Schärfe, zu widersprechen“ so Sellner, der auch für das Portal „sezession.net“ von Lehnert schreibt.

In der Debatte muss Krah nicht gleich eine Abkehr von der Position vorgehalten werden – er kann auch von der Angst getrieben sein. Denn dem Juristen ist mehr als bewusst, dass das Oberverwaltungsgericht Münster 2024 im Streit mit der AfD ausführte, dass ein „ethnisch-kultureller Volksbegriff“ verfassungswidrig sei, „der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage“ stelle.

Der Schein in der Erscheinung

Auf dem Sommerfest des Verlag Antaios war Krah zu einem Streitgespräch geladen. Das Gespräch mit Sellner wurde allerdings kurzfristig abgesagt. Am 27. Juni erklärte Sellner auf „sezession.net“, dass Krah nun als „gemäßigter Realo“ die politische Macht anstrebe, Mitstreitende und Positionen verraten und als „staatsfeindlich“ markiere würde. Kubitschek fragte zu dem Konflikt ebenso auf dem Portal: „Von wieviel Grundsätzlichem will (die AfD) noch etwas wissen, wenn man ihr auf großer Bühne die Hand und ein Stück Brot reicht?“ Er antwortet sich am 10. Juni selbst, als er den AfD-Kader in Ost und West wegen einer zu realpolitischen „Fließrichtung“ kritisierte.

Der Disput zwischen Kubitschek und Krah, zwischen Sellner und Krah sollte nicht die Relevanz des völkischen Nationalismus in der AfD revidieren. Auf diesem Konzept beruht die bundesweit propagierte „Remigration“ und Radikalität. Viele „Lehnerts“ sind in der AfD. Sie äußern sich in Parteistrukturen bewusst nicht immer zu eindeutig. Die Eindeutigkeit spiegelt sich jedoch in Personennetzwerken und Positionskontexten. Das Bündnis Sahra Wagenknecht stört die radikale Ausrichtung nicht. In der CDU/CSU scheinen Einzelne auf eine moderate AfD-Erscheinung zu hoffen. Diese Erscheinung ist aber eben nur Schein, um politische Akzeptanz Allianzen zu gewinnen.

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Autor*innen

Andreas Speit ist Journalist und Autor und schreibt regelmäßig für die taz (tageszeitung). Seit 2005 ist er Autor der Kolumne "Der rechte Rand" in der taz-nord, für die er 2012 mit dem Journalisten-Sonderpreis "Ton Angeben. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" ausgezeichnet wurde. Regelmäßig arbeitete er für Deutschlandfunk Kultur und WDR. Er veröffentlichte zuletzt die Werke  "Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus" (2021) "Rechte Egoshooter" (Hg. mit Jean-Philipp Baeck, 2020), "Völkische Landnahme" (mit Andrea Röpke, 2019), "Die Entkultivierung des Bürgertums" (2019). Im Campact-Blog schreibt er als Gast-Autor über Rechtsextremismus und rechte Milieus. Alle Beiträge

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