AfD Migration Wahlen
Mit den Stichwahlen in 147 Städten und Kreisen endete am Sonntag die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen. Die AfD verlor alle Stichwahlen gegen ihre jeweiligen Konkurrenten, so zum Beispiel in Duisburg, Oberhausen und Hagen. Doch eine Sache bereitet der Lokalpolitik in NRW Kopfschmerzen: Die AfD sitzt in immer mehr Integrationsräten, teilweise mit mehr Mitgliedern als demokratische Parteien. Das hat schwerwiegende Folgen für die Kommunalpolitik: Ein Integrationsrat ist ein wichtiges, lokalpolitisches Gremium.
Was machen Integrationsräte und wo gibt es sie?
Integrationsräte repräsentieren Menschen mit Migrationsgeschichte auf kommunaler Ebene. In Städten und Gemeinden mit mindestens 5.000 Einwohner*innen mit Migrationsgeschichte muss ein Rat eingerichtet werden. Bei mindestens 2.000 Einwohner*innen mit Migrationsgeschichte kann auf Antrag von mindestens 200 Wahlberechtigten ein Rat gebildet werden. In allen anderen Gemeinden ist ein Integrationsrat optional.
Die Gemeindeordnung regelt die Wahl der Integrationsräte. In Teilen gilt das Kommunalwahlrecht. In NRW ist alles, was mit Integrationsräten zu tun hat, in §27 GO NRW geregelt. Daher haben die Bürger*innen in NRW parallel zur Kommunalwahl auch die Integrationsräte gewählt. Diese Wahlen finden alle fünf Jahre statt.
Was ist der Unterschied zwischen Integrationsrat und Ausländerbeirat?
„Ausländerbeirat“, manchmal auch „Ausländerrat“ genannt, ist ein Überbegriff für politische Gremien in Deutschland, die auf kommunaler Ebene Menschen mit Migrationsgeschichte repräsentieren. Ausländerbeiräte haben je nach Bundesland unterschiedliche Namen. In Berlin heißt er beispielsweise „Beirat für Partizipation“, in Baden-Württemberg „Migrantenvertretung“ und in Niedersachsen und NRW eben „Integrationsrat“. Integrationsrat ist also nur ein lokal anderer Begriff für Ausländerbeirat.
Wer wählt den Integrationsrat?
Wahlberechtigt zum Integrationsrat sind Personen, die …
- eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen (auch zusätzlich zu einer deutschen als Doppelte Staatsbürgerschaft),
- die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erhalten haben,
- die deutsche Staatsangehörigkeit dadurch erworben haben, dass ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen.
Darüber hinaus muss die Person am Wahltag mindestens 16 Jahre alt sein, sich seit mindestens einem Jahr im Bundesgebiet rechtmäßig aufhalten und mindestens seit dem sechzehnten Tag vor der Wahl ihre Hauptwohnung in der Gemeinde haben.
Wo kann der Integrationsrat mitentscheiden?
Ziel von Integrationsräten ist es, die Integrationspolitik auf Augenhöhe mitzugestalten. Die soziale, kulturelle, rechtliche und politische Gleichstellung aller Mitglieder einer Gesellschaft steht für sie an erster Stelle, so der Landesintegrationsrat NRW. Damit sollen und wollen sie eng mit den Räten der jeweiligen Städte und Gemeinden zusammenarbeiten.
Die Integrationsräte setzen sich für die Chancengerechtigkeit und Entfaltung von Potenzialen von Menschen mit internationaler Familiengeschichte ein sowie für mehr politische Teilhabe. Sie leisten Antidiskriminierungs- und Antirassismusarbeit, fördern lokal die natürliche Zweisprachigkeit und unterstützen Kinder mit Migrationsgeschichte bei ihrer Schulbildung sowie beim Eintritt in den Beruf.
In NRW: Neuer Name ab November
„Ausschuss für Chancengerechtigkeit und Integration“ statt „Integrationsrat“: Am 1. November tritt eine Neuerung des §27 GO NRW in Kraft, die unter anderem die Bezeichnung der Integrationsräte in NRW ändert. Der neue Name stelle heraus, was die zentralen Schwerpunkte der Arbeit sind, erklärt der Landesintegrationsrat in einer Pressemitteilung.
Die Räte arbeiten auch eng mit den Verwaltungen zusammen, um die Amts- und Behördengänge mehrsprachig und allgemein zugänglich zu gestalten. Außerdem engagieren sie sich in der Arbeit mit Geflüchteten.
Die Mitglieder des Integrationsrates können an allen Ratssitzungen teilnehmen und zu den dort diskutierten Themen Stellung beziehen. Damit ist der Integrationsrat ein wichtiges Gremium, das allen Personen mit Migrationsgeschichte einer Stadt oder Kommune eine Stimme geben kann.
Wie kommen AfD-Mitglieder in einen Integrationsrat?
Bei den Integrationsratswahlen am 14. September gab es eine Besonerheit: Viele AfD-Mitglieder wurden in Integrationsräte gewählt. Die meisten Menschen, die für einen Platz im Integrationsrat kandidieren, machen das über eine Liste. Interessenvertretungen bilden Listen, auf denen die Einzelbewerber*innen dann zur Wahl stehen. Die AfD-Mitglieder haben sich also ganz bewusst für die Wahl zum Integrationsrat aufstellen lassen.
Die AfD erhielt bei den Integrationswahlen viel Zuspruch, berichtet der WDR. In fast allen Städten, in denen die Partei mit eigener Liste angetreten ist, landete sie auf Platz zwei; zum Beispiel in Essen, Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen, Herne und Bottrop. In Hagen holte die AfD die meisten Stimmen. Auch in Paderborn stellt die AfD künftig mit fünf Plätzen die mitgliederstärkste Fraktion im Integrationsrat. Sie wurden also von Menschen, die selbst Migrationsgeschichte haben, in den Rat gewählt, um sie dort zu repräsentieren. Es stellt sich die Frage:
Warum wählen Menschen mit Migrationsgeschichte die AfD?
„Menschen mit internationaler Familiengeschichte sind keine homogene Gruppe“, sagt Ksenija Sakelšek, stellvertretende Vorsitzende des Landesintegrationsrats NRW. Viele würden sich inzwischen als Deutsche begreifen, auch wenn sie noch eine zweite Identität haben. Wenn die AfD von „Remigration“ spricht, wie zum Beispiel indirekt in ihrem Strategiepapier für 2025, fühlten sie sich nicht angesprochen, glaubt sie.
Im Gegenteil: Die Feindbilder und Stereotype, welche die AfD zeichnet, sehen sie ebenfalls in anderen Gruppierungen, die aus Menschen mit Migrationsgeschichte bestehen. „Vielleicht kommen einige aus Konfliktregionen und sind der Meinung, dass die Leute, die deren Feindbilder sind, zurückgehen sollen – und dass es für sie selbst dann besser wird“, sagte Sakelšek dem WDR. Die AfD sei im Wahlkampf sehr berechnend vorgegangen und habe zum Beispiel Russlanddeutsche gezielt auf Russisch angesprochen.
Warum ist es problematisch, wenn die AfD mit in Integrationsräten sitzt?
Die AfD warb bei der Kommunalwahl mit bundespolitischen Themen – wie Migration und Sicherheit. Mit Angst vor dem „Fremden“ lässt sich leicht Wahlkampf machen. Mehr Abschiebungen zu fordern, erscheint oberflächlich wie eine Lösung. Doch dieser „Lösung“ liegt ein menschenverachtendes Weltbild zugrunde: Es schließt alle Menschen aus, die nicht in das Weltbild der AfD passen – auch Menschen mit Migrationsgeschichte. Diesen Fakt klammerte die AfD im Wahlkampf für die Integrationsräte aus.
„Ihr eigentliches Ziel ist es, über Integrationsräte den Einfluss in kommunalen Stadträten auszubauen und so rechtsextreme Positionen in die gesellschaftliche Mitte zu tragen“, meint Tayfun Keltek, Vorsitzender des Landesintegrationsrates NRW.
Wie die AfD vielerorts wirklich zu den Integrationsräten steht, zeigt ein Fall aus Paderborn. Einer der neuen AfD-Mandatsträger hatte den Integrationsrat im Frühjahr noch als „Türkenrat“ bezeichnet. Der aktuelle Vorsitzende des Integrationsrates in Paderborn, Recep Alpan, vermutet ein geplantes Vorgehen. Die AfD habe gezielt Wahlkampf für die Integrationswahl gemacht und mit fast 25 Prozent aller Stimmen fünf Mandate errungen – und damit genug, um eigene Anträge auf die Tagesordnung zu setzen. Alpan erwartet keine konstruktive Beteiligung: „Ich vermute, dass die AfD unsere Arbeit bremsen und stören möchte, etwa durch sinnlose und langwierige Anträge.“
Wie geht es nach der Wahl mit den AfD-Mitgliedern in Integrationsräten weiter?
Einige Gremien haben bereits versucht, die AfD-Mitglieder von ihren Sitzungen auszuschließen, zum Beispiel in Lippstadt.
Der Landesintegrationsrat NRW empfiehlt eine andere Herangehensweise: Standhaft bleiben und Gegenhalten. „Von insgesamt 1.262 Sitzen in Nordrhein-Westfalen konnte die AfD lediglich 61 erringen – das entspricht 4,83 Prozent. Festzuhalten ist jedoch, dass die AfD in der überwältigenden Mehrheit der Kommunen kaum Stimmen erhalten hat“, erklärt der NRW-Vorsitzende Keltek. „Die Integrationsräte in NRW bestehen fast ausschließlich aus demokratisch orientierten Kräften und die allermeisten Wählerinnen und Wähler haben Vielfalt und Zusammenhalt gestärkt.“ Diesen Zusammenhalt gelte es zu nutzen, um die Ansichten und antidemokratischen Ziele der AfD zu schwächen. „Rechtsextremen Haltungen darf keine Bühne geboten werden.“
Der NRW-Vorsitzende spricht sich auch für mehr Aufklärungsarbeit aus. Man müsse allen Bürger*innen mit Migrationsgeschichte nahebringen, dass die AfD nicht auf ihrer Seite sei .
Zusammen standhaft bleiben und die Demokratie verteidigen: Dabei können alle mithelfen. Lies hier zum Beispiel, wie Du …
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