Feminismus Klassismus
„Sissi“ oder „Wo Foucault sich irrte“: Der Geschlechterkampf des Adels
Die "Sissi"-Filme sind Klassiker und gehören für viele Menschen zu Weihnachten dazu. Welche Botschaften sich in den Filmen verbergen und wie der moderne Adel sie für ihre Zwecke nutzt, liest Du hier.
Eines der wichtigsten philosophischen Bücher zum Thema ‚Geschlecht‘ ist Michel Foucaults Band „Sexualität und Wahrheit Bd. 1: Der Wille zum Wissen“. Foucault hat maßgeblich die feministische Philosophin Judith Butler beeinflusst und diese wiederum den (Queer-)Feminismus der letzten dreißig Jahre.
Sexualität als Klassenkampf
Was ich immer schon an der Wahrnehmung von Foucaults kleinem Band kritisierte, war die weitgehende Ignoranz gegenüber der Klassenthematik. Tatsächlich geht es in dem dünnen Buch um die unterschiedlichen klassenbezogenen Konstruktionen von Geschlecht im Kapitalismus (Adel, Bürgertum, Proletariat). Zentral ist in Foucaults Band auch die Kritik am Klassentheoretiker Wilhelm Reich, der die Unterdrückung von Sexualität als wesentlichen Bestandteil des Klassenkampfes gegen die Arbeiter*innenklasse betrachtete. Die Klassenthematik behielt Foucault in seiner Kritik durchaus bei, allerdings war seine These, dass nicht einfach durch die Unterdrückung der Sexualität die Arbeiter*innenklasse unterdrückt werde, sondern, dass es sich bei der Sexualität vor allem um eine Erfindung des Bürgertums handele, um produktiver in der kapitalistischen Ausbeutung zu werden.
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Es ginge um eine neue Schnittstelle, die Familie (Sexualpolitik) und die Nation (Bevölkerungspolitik) trafen sich in Fragen der „richtigen“ Fortpflanzung bzw. Sexualität („Biopolitik“). Diese „Biomacht“ war zugleich die Geburt eines biologistischen Rassismus. In diesem Zusammenhang befindet sich die Behauptung Foucaults, um die es mir in diesem Artikel geht, dass der ‚Sex‘ des Bürgertums das ‚Blut‘ des Adels ersetzte. War der Adel in seiner Heiratspolitik auf die Herkunft (Blutlinie) ausgerichtet, orientierte sich das Bürgertum hinsichtlich des Erbes des Familienunternehmens um die Zukunft der Tüchtigkeit (genetische Anlage) der Heiratenden. Das Familienerbe sollte im kapitalistischen Sinne gut weitergeführt werden.
Kapitalismus und Adel: Kein Widerspruch
Foucaults Sichtweise mag für den Übergang von einem feudalistischen zum kapitalistischen System in Frankreich gelten, hier gab es einen Einschnitt mit der Französischen Revolution. In Deutschland und Österreich hingegen entwickelte sich der Kapitalismus in einem politischen System, in dem der Adel den Ton angab; zumindest bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Daher bezeichnete Ernst Bloch Deutschland als das Land der Ungleichzeitigkeit. Kapitalismus und Adel waren kein Widerspruch. Und betrachtet man die volkswirtschaftlich-neoliberale ‚Österreichische Schule‘, so fällt auf, dass die wichtigsten Vertreter nicht nur ein ‚von Mises‘ und ein ‚von Hayek‘ sind, sondern, dass diese Herren auch großen Wert auf das in Österreich seit 1918 verbotene ‚von‘ im Namen legten. Zwar hatte der Kapitalismus Einfluss auf die Geschlechterkonstruktionen, aber Adelige waren durchaus auch Kapitaleigner*innen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war der reichste Deutsche der immer gerne als „Baron“ bezeichnete August von Finck Senior. Und Thurn und Taxis oder Waldburg-Zeil waren nicht weit hinter ihm. Die Sexualität war in den deutschen und österreich-ungarischen Monarchen-Reichen eine Erfindung des Adels, nicht des Bürgertums. Foucault nennt selber bei der „Einpflanzung der Perversitäten“ den Adeligen Krafft-Ebeling. Ebenfalls wichtig wäre in Fragen der „Homoheilung“ der Adelige Schrenck-Notzing, der eine extrem reiche Unternehmens-Erbin heiratete.
Antifeminismus im adeligen Gewandt
Halten wir uns dies vor Augen, so verwundert es nicht, dass der Kampf für den Familismus, also gegen Abtreibungsrechte, gegen die Ehe für alle, gegen Sexualpädagogik („Frühsexualisierung“) usw. vom Adel vorangetrieben und dominiert wird. Seit der Inthronisierung des Papstes Johannes Paul II. – und der damit einhergehend zunehmend wichtiger werdende Relevanz von rechtskatholischen Gruppierungen wie Opus Dei, Piusbruderschaft, TFP – wird der familistische Antifeminismus im deutschsprachigen Raum von etwa fünfzig Akteur*innen aus dem Adel, bzw. von einem Geflecht miteinander verwandten und verschwägerten Adelsfamilien bestimmt.
So wie es mich in den 1980er Jahren schon irritierte, dass nicht – wie von Foucault gefordert – von ‚Klassensexualitäten‘ oder ‚Klassenkörpern‘ gesprochen wurde in der ausführlichen Rezeption von Foucault, so irritiert mich dreißig, vierzig Jahre später, dass nicht vom Adel gesprochen wird, wenn der Antifeminismus oder „Antigenderismus“ kritisch betrachtet wird. Es erinnert an das Märchen vom Kaiser mit den neuen Kleidern: Jeder sieht das Offensichtliche, es wird jedoch nicht angesprochen. Wir sehen die Namen ‚Johanna von Westphalen‘, ‚Johannes und Michaela von Heereman‘, ‚Gloria von Thurn und Taxis‘, ‚Paul Herzog von Oldenburg‘, ‚Mathias von Gersdorff‘, wenn wir die Akteurinnen des Antifeminismus betrachten, sagen aber nicht: „Die sind ja alle vom Adel!“ Dieser Umstand allein böte schon Stoff für eine tiefgreifende Untersuchung.
Was Sissi damit zu tun hat
Viele kennen Jahr für Jahr die Dramen der Familienzusammenkünfte über die Weihnachtsfeiertage – das „Fest der Familie“ – über die zu allem Überdruss auch noch die „Sissi“-Filme thronen. Wir sollten uns klar machen: Die familistische Verkleinbürgerlichung des Proletariats ist in Wirklichkeit eine familistische Verkleinadelung des Proletariats. Nur gehört zum traditionellen Familienbild neben Vater, Mutter und Kinder auch das Gesinde, die Kinderschwester, die Kinderfrau, die Putzkräfte und die Köchinnen und das Gartenpersonal. Denn wenn eine Beatrix von Storch oder eine Hedwig von Beverfoerde die traditionelle Familie beschwören, dann meinen sie genau diese adelige Familie mit den Angestellten – und die kann nun mal nicht jede*r haben. Und ein bürgerlicher Klaus Kelle mit seiner Frau Birgit oder ein entsprechend bürgerlicher Markus Krall hoffen wahrscheinlich insgeheim auf eine spätere Adelung, in entsprechenden Rittervereinen sind sie schon lange Mitglieder.