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Mahnmal in Berlin soll verschwinden – weil es einem Land nicht passt
Kriege bringen sexualisierte Gewalt halt mit sich. Oder? In Berlin erinnert ein Mahnmal an Zwangsprostitution und Verschleppung in Japan während des Zweiten Weltkriegs. Doch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) möchte das Denkmal jetzt entfernen lassen. Inken Behrmann schreibt, warum konkrete Erinnerungsorte wichtig sind – auch wenn Deutschland scheinbar nichts mit den Verbrechen zu tun hat.
Eine koreanische Frau – eigentlich wirkt sie eher wie ein Mädchen – sitzt barfuß auf einem Stuhl, ihre Hände liegen geballt in ihrem Schoß, die Fersen hängen in der Luft. Sie wirft einen Schatten, der Stuhl neben ihr ist leer. Die Frau sitzt als Statue aus Bronze an einer Straßenecke in Berlin-Moabit; bei einem Spaziergang stand ich vor Kurzem plötzlich vor ihr. Der Korea-Verband erinnert hier an ein schreckliches, kaum bekanntes Kriegsverbrechen: Während des Zweiten Weltkrieges verschleppten japanische Soldaten Hunderttausende Frauen* und zwangen sie, sich in Bordellen für die Armee zu prostituieren.
Doch wenn es nach der japanischen Botschaft geht, dann soll die Statue bald weg. Die Diplomat:innen üben Druck auf den Berliner Senat aus – und der Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), knickt ein. „Es ist wichtig, dass wir zu Veränderungen kommen“, sagte er in einer Senatsmitteilung, eine „einseitige Darstellung“ dürfe nicht mehr stattfinden. Statt des Denkmals für die verschleppten Frauen* soll laut Wegner ein allgemeines Denkmal für Opfer sexualisierter Gewalt in Kriegen entstehen. Doch das ist ein Problem. Denn ohne konkrete Orte und Taten zu nennen, wird niemand für die Verbrechen an den Frauen* verantwortlich – und kann folglich auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Ein allgemeines Denkmal – so wie Kai Wegner es will – macht die konkreten Betroffenen, die Verbrechen und Täter unsichtbar und schützt damit die Täter und Täter-Länder.
Zwangsprostitution in Japan im zweiten Weltkrieg
Aber zurück auf Anfang: Für wen steht – oder vielmehr sitzt – die koreanische Frau dort? Sie symbolisiert die Frauen*, die im Zweiten Weltkrieg bzw. Asien-Pazifik-Krieg von 1937 bis 1945 von der japanischen Armee zwangsprostituiert wurden. Sie kamen aus Japan, Korea, Taiwan und japanisch besetzten Gebieten wie Indonesien, Malaysia, Philippinen und China. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden bis zu 200.000 Frauen* Opfer der Verschleppung, Misshandlung und Sexsklaverei. Nur etwa 30 Prozent der Frauen* überlebten den Zweiten Weltkrieg. Die meisten starben an Hunger, aber auch an Folter und Gewalt. „Trostfrauen“ lautet der unerträglich euphemistische Begriff für die Frauen und Mädchen. Die Betroffenen lehnen ihn inzwischen ab.
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Erst in den 1990er Jahren brach die erste überlebende Koreanerin ihr Schweigen und berichtete über die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen. Das südkoreanische Künstler*innen-Ehepaar Kim Eun-Sung und Kim Seo-Kyung entwarf daraufhin in den 2010er Jahren die „Friedensstatue“, die auf der ganzen Welt als Erinnerung an die Opfer und für die „Forderungen der Überlebenden nach Anerkennung, Aufarbeitung und Entschuldigung […] sowie die Kontinuität sexualisierter Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten“ aufgestellt werden sollte. Der Korea-Verband in Berlin setzte sich dafür ein, dass das bronzene Mädchen im Jahr 2020 auch hier einen Platz fand. Doch Japan antwortete mit einem diplomatischen Eklat.
Japan will die „Trostfrauen“-Statuen verhindern
Die japanische Regierung versucht weltweit, gegen die Friedensstatuen vorzugehen. Sie sieht in ihnen anti-japanische Stimmungsmache. Die Opfer in Korea seien durch bilaterale Verträge zwischen den Ländern schließlich inzwischen entschädigt worden. Die japanische Stadt Osaka beispielsweise beendete ihre Städtepartnerschaft zur US-amerikanischen Stadt San Francisco, nachdem dort eine Friedensstatue aufgestellt wurde. Auch in Berlin versuchte die japanische Botschaft, die Statue zu verhindern. Die Aufstellung wurde daraufhin vom Bezirk Berlin Mitte vorerst für nur zwei Jahre genehmigt.
Inzwischen steht die Statue seit drei Jahren, doch nach einem Besuch Kai Wegners in Japan sieht es nun so aus, dass sie zum Jahresende verschwinden soll. Stattdessen soll – vielleicht, irgendwann – ein allgemeines Mahnmal für die Opfer sexualisierter Gewalt in Kriegen errichtet werden. Die Betroffenen werden dabei völlig übergangen, Kai Wegner suchte noch nicht einmal das Gespräch mit dem Korea-Verband.
Soziale Ursachen für die sexualisierte Gewalt
Frauen* als Betroffene sexualisierter Gewalt in Kriegen: leider kein japanischer Einzelfall. Auch in aktuellen Kriegen und Konflikten, wie dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, aber auch beim Überfall der Hamas auf Israel, richtet(e) sich sexualisierte Gewalt gezielt gegen Frauen*. Auf Berichte und Videos darüber folgt Entsetzen – aber zu wenig Aufklärung und Prävention. Verantwortliche werden auch im Nachhinein kaum zur Rechenschaft gezogen. Häufig wirkt es, als sei sexualisierte Gewalt einfach eine Begleiterscheinung von Männern in Kriegen. Doch das stimmt nicht.
In den 70er Jahren begannen Frauenrechtler:innen das Problem sexualisierter Gewalt in Kriegen nicht als biologisch oder „natürlich“, sondern als sozial zu beschreiben, erklärt die Historikerin Regina Mühlhäuser im Spiegel-Interview. Das bedeutet: Situationen, in denen Vergewaltigungen und sexualisierte Misshandlungen stattfinden, können begünstigt oder verhindert werden. Auf jeden Fall sind sie nicht natürlich und wir müssen sie nicht einfach hinnehmen. Einen wichtigen Einfluss auf das Verhalten der Soldaten haben die Struktur der Armee und die konkrete Situation im Krieg, das Handeln von Kommandeuren und patriarchale Geschlechterbilder aus Friedenszeiten, in denen Frauen als Besitz von Männern gesehen werden.
1. Die Struktur der Armee: Zwangsrekrutierung begünstigt Gewalt gegen Frauen*
Eine wichtige Bedingung für sexualisierte Gewalt in Kriegen ist die Struktur der Armee. So ist „Zwangsrekrutierung ein häufiger vorausgehender Faktor von sexueller Gewalt in Konflikten“, meint der Gewaltforscher Robert Nagel im Tagesschau-Interview. In Armeen, deren Mitglieder sich nicht kennen, üben Soldaten sexualisierte Gewalt demnach als Initiationsritus und gemeinschaftsstiftende Aktion aus: Wer dabei war, hält hinterher zusammen.
2. Ansagen von Kommandeuren: „Alles, was ihr findet, gehört euch“
Auch das Verhalten der Kommandeure spielt eine wichtige Rolle. Sie können sexualisierte Gewalt befördern oder eben einschränken, indem sie sie vor Einsätzen untersagen und bestrafen. Aus der Ukraine wird berichtet, dass dort Kommandeure an einigen Orten sogar sexualisierte Übergriffe organisiert und an anderen Orten nicht geahndet hätten.
Doch explizite Aufforderungen zu Vergewaltigungen könnten selten nachgewiesen werden, so die Historikerin Regina Mühlhäuser. Stattdessen laufe die Kommunikation innerhalb des Militärs häufig implizit. Im Vietnamkrieg, so erzählt sie, habe es am Vorabend eines Massakers ein Task-Force-Treffen gegeben, bei dem der Kompaniechef sagte: „Everything you find is yours“ („Alles, was ihr findet, gehört euch“). Am folgenden Tag kam es unter anderem auch zu Vergewaltigungen. Offensichtlich hatten die Soldaten den Satz auch als Aufforderung, mindestens aber Toleranz gegenüber Vergewaltigungen verstanden.
Hier zeigt sich einerseits: Ansagen von Kommandanten haben einen großen Einfluss auf das Handeln der Soldaten. Auf der anderen Seite baut das Verhalten von Soldaten in Extremsituationen im Krieg auf Alltagsbilder der Geschlechter in Friedenszeiten auf. Wer Frauen in Friedenszeiten als Besitz von Männern sieht, handelt auch im Krieg danach. „Alles, was ihr findet, gehört euch“ bezieht sich dann auch auf die Frauen* der Feinde.
3. Geschlechterbilder in Friedenszeiten
Frauen* als Besitz von Männern: Hier liegt der dritte Baustein für sexualisierte Gewalt in Kriegen. Auch die Hamas soll ihre Kämpfer vor dem Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 dazu aufgefordert haben, Frauen sexualisiert zu misshandeln. Die Nachricht dabei geht von Männern an Männer: „Seht, was wir mit euren Frauen machen, ihr konntet sie nicht schützen.“ Und: „Wir nehmen uns, was euch gehört.“ Ehefrauen, Schwestern, Mütter als Besitz von Männern – das ist die patriarchale Grundlage für sexualisierte Verbrechen an Frauen* in Kriegen. Mit der Demütigung und Misshandlung der Frauen*, die über Social Media in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden, sollten auch – wenn nicht vor allem – Männer gedemütigt werden.
Sexualisierte Gewalt gegen Frauen* in Kriegen verhindern
Die Forschung zu den kaum zu ertragenden Verbrechen an Frauen* in Kriegen zeigt also: Es gibt Verantwortliche – konkrete Täter und Vorgesetzte in der Armee, aber auch Armeestrukturen, die Gewalt begünstigen sowie gesellschaftliche Geschlechterbilder, die Gewalt gegen Frauen* als Kriegswaffe erst ermöglichen. An allen diesen Punkten können Staaten ansetzen, um sexualisierte Gewalt gegen Frauen* in Kriegen zu verhindern. Doch damit sie handeln, müssen sie zuerst ihre Verantwortung und Schuld anerkennen.
Den Erinnerungs- und Protestort in Berlin erhalten
Dass Staaten ihre Politik ändern, passiert meistens nicht von allein, sondern auf öffentlichen Druck hin. Und deshalb ist es so wichtig, über die ganz konkreten Fälle sexualisierter Gewalt in Kriegen zu sprechen und an die Betroffenen zu erinnern, Gerechtigkeit und Aufklärung einzufordern. Die Betroffenen, ihre Erlebnisse und Geschichten müssen dabei ins Zentrum gerückt werden.
Das ist bei dem Mahnmal in Moabit gelungen: Hier sitzt ein koreanisches Mädchen mitten in Berlin, um an ihr Schicksal und das von Hunderttausenden anderen in Asien und weltweit zu erinnern. Gerade mit seiner konkreten Geschichte berührt mich dieses Mahnmal. An die aktuellen Kriege und Opfer sexualisierter Gewalt denke ich zumindest automatisch.
Wohnst Du in Berlin-Mitte? Dann kannst du bei einem Einwohner:innen-Antrag des Korea-Verbands in Berlin mitmachen, um die Friedensstatue zu erhalten. Das geht ganz leicht!
- Drucke dieses PDF aus.
- Sammel Unterschriften von anderen Menschen aus Berlin-Mitte.
- Schicke die Unterschriften bis zum 16.8. an den Korea-Verband. Die Adresse findest Du auf dem Zettel.
Mehr Infos zur Aktion findest Du hier:
Konkrete Ereignisse brauchen konkrete Mahnmale
Jede betroffene Frau* hat ein persönliches Schicksal – und das wird nur greifbar, wenn es Erinnerungsorte für konkrete Verbrechen und Verantwortliche gibt. Die Friedensstatue an der Straßenecke in Berlin-Moabit tut damit genau das: Bewusstsein schaffen für die konkreten Verbrechen und die gesellschaftlichen Strukturen dahinter. Ein allgemeines Denkmal dagegen – so, wie es Kai Wegner plant – könnte eine solche Wirkung kaum entfalten. Vielmehr würde es zu einer Verantwortungsdiffusion führen: Werden keine konkreten Betroffenen benannt, dann werden auch keine konkreten Täter und Täter-Länder sichtbar. Dann erleben sie kaum den Druck, ihre Geschichte aufzuarbeiten und Gewalt künftig zu verhindern.
Der Erinnerungsort für die Zwangsprostituierten im Zweiten Weltkrieg sollte deshalb genau so in Berlin stehen bleiben – und Japan sich lieber mit seiner Geschichte und den individuellen Betroffenen auseinandersetzen. Statt sich an die Seite der Täter zu stellen, sollten das Land Berlin und der Regierende Bürgermeister Kai Wegner auf die Betroffenen zugehen. Das Mahnmal läd noch immer dazu ein.