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Gas ist unsexy!

Mit ihren Pipelines in die Politik nahm die Gaslobby erheblichen Einfluss auf klima- und energiepolitische Entscheidungen – zulasten der Gesellschaft.

Eine Gruppe Aktivisten von LobbyControl bei einer Aktion vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Sie protestieren dagegen, dass die Gas-Lobby viel Einfluss in die Klimapolitik nimmt.
Vor dem Kanzleramt in Berlin: Lobby-Pipelines müssen zugedreht werden! Foto: LobbyControl / Gordon Welters [CC-BY-NC-ND 4.0]

Die Gaslobby jubelte, als Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) 2019 verkündete: „Gas ist sexy!“ Ihr jahrelanger Lobbyismus war erfolgreich. Die Bundesregierung hatte das umweltschädliche Erdgas als angeblich wichtigen Teil der Energiewende anerkannt und der Gasindustrie so Milliarden-Gewinne gesichert. Wie konnte es dazu kommen?

Imke Dierßen ist politische Geschäftsführerin bei LobbyControl. Im Campact-Blog schreibt sie über Lobbyismus und politische Machtungleichgewichte.

Eine neue Studie von LobbyControl zeigt: Frühere Regierungen haben die deutsche Abhängigkeit von Erdgas gefördert und politisch abgesichert – und den Ausbau der erneuerbaren Energien seit 2014 zugleich massiv ausgebremst. Die Rechtfertigung lautete: Zusätzliches Gas als „Brückentechnologie“ sei notwendig für die Energiewende. Die Gasindustrie hat diese Erzählung strategisch eingesetzt, um ihr fossiles Geschäftsmodell noch über Jahrzehnte erhalten zu können.

Millionenschwere Lobbybudgets

Die Gaswirtschaft gab 2021 rund 40 Millionen Euro für ihre Lobbyarbeit aus (S. 44/45), die drei größten Umweltverbände Greenpeace, Deutsche Umwelthilfe und BUND, die zum Thema Gas arbeiten, dagegen nur rund 1,55 Millionen Euro.

Die Gaslobby konnte auch deshalb engste Verbindungen zur Politik pflegen, weil viele Politiker:innen sich von ihr einspannen ließen. Es wurden enge Netzwerke mit Politiker:innen vor allem aus SPD und CDU geknüpft. So bauten Gazprom und die russische Führung gezielt Türöffner in die Schaltzentralen deutscher Bundes- und Landespolitik auf: Der prominenteste ist Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Doch auch andere wurden gezielt angeworben: Der frühere SPD-Politiker Heino Wiese wurde 2016 zum russischen Honorarkonsul ernannt. Marion Scheller, bis 2016 im Bundeswirtschaftsministerium Referatsleiterin für Energiepolitik, durfte nahtlos als Lobbyistin zu Nord Stream 2 wechseln. Diese deutsch-russischen Lobby-Netzwerke sind seit dem russischen Angriff auf die Ukraine weitgehend stillgelegt.

Pipelines in die Politik

Campact fordert in einem aktuellen Appell von der Ampel-Regierung, die Wärmeversorgung in Deutschland sozial gerecht und klimafreundlich zu gestalten. Hier kommst Du zum Appell:

Doch privilegierte Zugänge zur Politik hat die Gaslobby bis heute, wie die LobbyControl-Studie zeigt. So trifft politisches Spitzenpersonal bei Medienkongressen immer wieder auf die mächtigen Lobbyist:innen der Gasbranche. Bei den „Jahrestagungen Gas“ des Handelsblatts können Redner:innen verschiedener Konzerne und Verbände ihre Lobbybotschaften direkt an die Gäste aus der Politik richten. Partner der Konferenz im Herbst 2022 waren unter anderem der einflussreiche PR-Verband Zukunft Gas (S. 36), Shell und der norwegische Gaskonzern Equinor.

Oft trifft man sich auch zum direkten Lobbygespräch. In den ersten Monaten der Ampelregierung gab es durchschnittlich ein Treffen pro Tag zwischen Gaskonzernen und der Bundesregierung. Hinzu kamen viele weitere Treffen, unter anderem mit dem größten Energielobbyverband BDEW, dessen Hauptgeschäftsführerin die frühere Grünen-Politikerin Kerstin Andreae ist.

Politik muss Abstand halten

Während einer Energiekrise ist ein enger Austausch der Politik mit Unternehmen sicher sinnvoll. Doch große Nähe zwischen Politik und Gaslobby führt bekanntlich zu Wohlwollen. Politiker:innen müssen deshalb für Ausgewogenheit bei ihren Gesprächspartner:innen sorgen. Sie sollten relevante zivilgesellschaftliche Akteure proaktiv zum Austausch einladen. Es scheint im Moment, dass Kritiker:innen des LNG-Ausbaus nicht annähernd so viel Gehör erhalten wie die Gaslobby. Die Politik sollte ihre Lobbykontakte offenlegen müssen.

Wenn die Ampel-Koalition es mit der Energiewende wirklich ernst meint, muss sie ihre Kontakte zur fossilen Gaslobby auf das absolut Nötigste reduzieren. Nebenjobs in der fossilen Industrie oder Seitenwechsel sollten ein Tabu sein, auch exklusive Einladungen zu Veranstaltungen sollten die politischen Akteure und Beamten nicht annehmen. Außerdem sollten sich Parteien und öffentliche Institutionen nicht von Akteuren sponsern lassen, die fossile Geschäftsinteressen verfolgen. Größtmöglicher Abstand zur Klimabremser-Lobby ist das Gebot der Stunde!

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Autor*innen

Imke Dierßen ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitete viele Jahre bei Amnesty International als Referentin und Abteilungsleiterin. Dort hat sie gelernt, wie schwierig es für die Zivilgesellschaft sein kann, sich gegen einflussreiche Akteure aus Politik und Wirtschaft durchzusetzen. Seit 2015 ist sie politische Geschäftsführerin von LobbyControl. Für den Campact-Blog schreibt sie über Lobbyismus und politische Machtungleichgewichte. Alle Beiträge

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