Rechtsextremismus
Unsere Jugendlichen, die Nachwuchs-Nazis?
Rechtsextreme Gewalt nimmt zu – auch auf deutschen Schulhöfen. Immer mehr Jugendliche fallen mit rechtsextremen Äußerungen oder von rechts motivierter Gewalt auf. Woher kommt das?

21. September 2024: Junge Männer bei einer Neonazi-Demo gegen den CSD in Oranienburg. Hinter ihnen eine schwarz-weiß-rote Reichswehrflagge. Foto: RechercheNetzwerk.Berlin
E-Mails an Schulsekretariate, in denen mit „Säuberungen“ und Gewalt gegen Mitschüler*innen mit Migrationshintergrund gedroht wird. „Sieg Heil“-Rufe und Drohgebärden gegenüber einer Lehrerin auf dem Schulhof. Rassistische Handzeichen während eines Klassenausflugs zu einer KZ-Gedenkstätte. Schüler singen „Ausländer raus“ bei einer Fahrt zum KZ Bergen-Belsen. Diese Vorfälle treten zu oft auf, um sie nur als Einzelfälle abzutun. Immer häufiger zeigen Jugendliche rassistisches, rechtsextremes Verhalten oder begehen von rechts motivierte Gewalttaten – besonders in der Schule. Ein besorgniserregender Trend, der uns alle aufhorchen lassen sollte. Was macht unsere Jugendlichen plötzlich zu „Nachwuchs-Nazis“?
Willkommen im Campact-Blog
Schön, dass Du hier bist! Campact e.V. ist eine Kampagnen-Organisation, mit der sich über 3,5 Millionen Menschen für progressive Politik einsetzen. Im Campact-Blog schreiben das Team und ausgezeichnete und versierte Gast-Autor*innen über Hintergründe und Einsichten zu progressiver Politik.
Rechtsextreme Straftaten unter Jugendlichen
Manche dieser Beispiele werden als „jugendlicher Leichtsinn“ abgetan – obwohl sie deswegen nicht weniger problematisch sind. Ein Beispiel: Im letzten Sommer sangen Schüler*innen an mehreren Schulen den Partyhit „L’Amour Toujours“ mit ausländerfeindlichem Text – ähnlich wie beim bekannten Vorfall auf Sylt.
Bedrohungen oder Gewalt hingegen sind eindeutige Straftaten und müssen auch so behandelt werden. Genau solche Fälle nehmen in den letzten Monaten stark zu.
Der „Stern“ hat eine umfassende Recherche veröffentlicht, aus der auch Anfragen bei Landeskriminalämtern (LKA) hervorgehen. Die Daten belegen: Rechtsextreme Straftaten an deutschen Schulen nehmen zu. Laut den LKAs geht es bei den meisten Fällen um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Beispiele dafür sind Hakenkreuze auf Schulbänken oder der Hitlergruß auf dem Schulhof. Aber auch die Verwendung von rechtsextremen Symbolen in Klassenchats werden zunehmend zum Problem.
Den stärksten Anstieg innerhalb eines Jahres erfasste die Polizei in einem Bundesland in Ostdeutschland: in Sachsen-Anhalt. Dort nahmen rechtsextreme Vorfälle 2024 um 150 Prozent zu – auf insgesamt 185 Fälle. Rheinland-Pfalz meldete 45 Fälle (80 Prozent mehr als im Vorjahr) und Berlin 111 Fälle (42 Prozent mehr). Die höchste Gesamtzahl an Fällen meldete Brandenburg mit 336 Vorfällen – etwa 30 Prozent mehr als 2023.
Alle 13 Minuten eine rechtsextreme Straftat
Diese Zahlen sind Teil eines größeren Trends: Rechtsextreme und rassistisch motivierte Straftaten nehmen insgesamt zu. In den ersten drei Monaten dieses Jahres registrierte die Polizei in Deutschland alle 13 Minuten eine rechtsextreme Straftat. Insgesamt gab es 41.406 Anzeigen im Jahr 2024. Statistiken zu den tatsächlichen Verurteilungen fehlen. Die Tendenz ist jedoch eindeutig: Rassistische, antisemitische und muslimfeindliche Anfeindungen sind mittlerweile Alltag. In drei aufeinanderfolgenden Jahren erreichten rechtsextreme Straftaten neue Höchststände.
Ähnlich sieht es bei rechter Gewalt aus: Durchschnittlich begehen Täter*innen alle sechs Stunden eine rechte Gewalttat – also vier Delikte pro Tag. 1.443 rechte Gewalttaten gab es im Jahr 2024. Halbwegs neu ist allerdings, dass auch Jugendliche verstärkt zu Täter*innen werden.

Die berühmte Grenze des Sagbaren
Darüber hinaus zeigt sich ein weiterer Trend, spätestens seit der vergangenen, vorgezogenen Bundestagswahl im Februar: Die Grenze des Sagbaren verschiebt sich immer weiter nach rechts. Begriffe aus der NS-Zeit werden ohne kritische Einordnung genutzt. Formulierungen und Forderungen der AfD werden fast wortwörtlich übernommen oder umgesetzt.
Auf ihnen wohlgesonnenen Online-Portalen können rechte Politiker*innen ungehindert ihre Meinung kundtun und hetzen – sowie auch im politischen Alltag. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien schaffen es kaum, die AfD und ihre rechten Handlanger zu „entzaubern“.
Wenn Erwachsene und gerade vermeintliche Respekts- und Autoritätspersonen oder als vertrauenswürdig eingestufte Medien rechte Aussagen und Tendenzen unwidersprochen und ohne Einordnung tolerieren und wiedergeben, lernen Kinder und Jugendliche: Das ist in Ordnung so, das müssen wir mittragen. Dass auch Meinungsfreiheit Grenzen hat, wird dabei selten thematisiert.
Jugendliche: Eine beeinflussbare und greifbare Zielgruppe
Jugendliche befinden sich in einem entscheidenden und prägenden Entwicklungsstadium. Die Werte und Überzeugungen, die sie in dieser Zeit entwickeln, begleiten sie oft ein Leben lang. Wie gefährlich hier der Einfluss von rechten Kräften sein kann, zeigt auch ein Blick auf die Ergebnisse der jüngsten Wählergruppe bei der vergangenen Bundestagswahl: Fast 20 Prozent der 18- bis 24-Jährigen wählte die AfD. Es sind vor allem junge Männer, die deutlich öfter ihr Kreuz bei der AfD machten. Junge Frauen wählten progressiver und trugen so dazu bei, dass die Linke in der Altersgruppe ebenfalls überdurchschnittlich viele Stimmen bekam.
Rechte rekrutieren auf Schulhöfen
Wie das bayerische Kultusministerium berichtet, hat die als rechtsextrem eingestufte und vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ an Schulen in Baden-Württemberg, Bayern und anderen Bundesländern Flyer verteilt. Mit den Flyern versucht die Bewegung, junge Menschen auf Schulhöfen für die rechte Sache zu gewinnen. Die Schreiben sprechen gezielt die Schüler*innen und ihre Ängste an.
Dieser starke Bruch in Alter und Geschlecht gleichermaßen ist auch auf die starke Präsenz von rechten Politiker*innen und Influencern online zurückzuführen. Smartphones und soziale Medien spielen bei Kindern und Jugendlichen eine große Rolle. Laut einer aktuellen Studie nutzen 18- bis 34-Jährige soziale Medien als Hauptinformationsquelle, um sich über Politik zu informieren. Auch viele Erwachsene sind dort unterwegs, das ist ganz klar – Erwachsene sind aber oft in ihren Meinungen und Ansichten weniger erschütterbar als Jugendliche, die noch mitten in ihrer Identitätsfindung stecken. Nicht die Geräte selbst sind das Problem, sondern die Inhalte, die Kinder darüber konsumieren. Genauer gesagt: die Personen, die gezielt junge Menschen online ansprechen.
Im Vorfeld der letzten Europawahl nutzte die AfD TikTok, Instagram und andere Plattformen, um Jugendliche anzusprechen. Mit passenden Einstiegen und Lebensbezügen wurden ihnen so vermittelt, dass die AfD auf ihrer Seite sei. Auch die neue Generation junger Neonazis nutzt soziale Medien für ihre menschenfeindlichen Botschaften, um Gleichaltrige mit ihren Inhalten zu erreichen. Dadurch gelangen homophobe, queer-feindliche, hyper-maskuline und anti-feministische Inhalte direkt zur jungen Zielgruppe. Im Naturschutz nutzen sie die Ängste junger Menschen vor den Folgen der Klimakrise aus. Diese gezielte Ansprache führt zur Radikalisierung von Jugendlichen im digitalen Raum.
Wie können wir Jugendliche vor rechtsextremem Gedankengut schützen?
Wie hält man Jugendliche von Rechtsextremismus fern? Die unbequeme Antwort: Wahrscheinlich gar nicht. Sie werden immer irgendwo mit rechtem Gedankengut konfrontiert sein. Unsere Aufgabe als Gesellschaft ist es, diesem klar zu widersprechen und seinen Einfluss zu begrenzen. Wenn wir Kindern und Jugendlichen Werte wie Toleranz und Weltoffenheit vermitteln, stärken wir ihre Widerstandskraft – sodass sie selbst erkennen können, dass rechtsextremes Denken in unserer Gesellschaft keinen Platz haben sollte.
Ob im Parlament, auf der Straße oder im Internet: Rechtsextremismus ist gefährlich und bedroht unsere Demokratie. Campact setzt sich entschlossen dagegen ein – mit Appellen, Demos und Aktionen im Netz.
Gemeinsam mit Campact fordern bereits über 350.000 Menschen die Prüfung eines AfD-Verbots. Mit einer cleveren Kampagne haben wir den rechtspopulistischen TV-Sender AUF1 lahmlegen können. Wir konnten mit viel Geduld ein Stiftungsgesetz erreichen, das der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, die staatliche Förderung verwehrt. Eine Petition auf WeAct, der Petitionsplattform von Campact, setzte sich dafür ein, dass Rechtsextreme keinen Zugang zum Bundestag erhalten. Und in Sachsen hat die AfD bei der Landtagswahl die nötigen Sitze für eine Sperrminorität verpasst. Schließe Dich uns jetzt an.