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Musks X – ein profaschistisches Projekt?
2008 hatte ich meine ersten Beiträge bei Twitter geschrieben. Damals erschien es mir noch als eine Plattform, in der irgendwelche Leute schrieben, was sie zum Frühstück gegessen haben. Twitter war noch dabei, sich als politische Plattform zu entwickeln. Heute ist das alles anders.
2008, das ist quasi eine andere Welt. Obama war noch kein Präsident, es gab noch kein Bitcoin, die Verbrechen des NSU wurden noch den Betroffenen in die Schuhe geschoben, Sarrazin hatte noch keine Bücher geschrieben, PayPal kannte nur, wer über Ebay Dinge verkaufen wollte, Jürgen Elsässer trat noch bei der Linkspartei auf und war Autor beim Neuen Deutschland, Höcke zog mit Hilfe des Neonazis Thorsten Heise nach Thüringen. Und Elon Musk war nur ein exzentrischer US-Unternehmer.
In den sechzehn Jahren ist viel passiert. Zwölf Jahre davon kommentierte ich bei Twitter kritisch die Entstehung und Entwicklung der AfD. Es fällt mir schwer, dort nicht mehr zu schreiben. Aber Twitter, das jetzt „X“ heißt, ist zu einem profaschistischen Projekt verkommen. Die Kommentare sind unerträglich geworden. Shithole ist ein treffender, wenn auch entpolitisierender Ausdruck. Denn es geht bei all dem Dreck, mit dem man dort beworfen wird, vor allem um Politik. Vor einem Monat hat deshalb unter anderem die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl X verlassen. Auch der Begriff „Shitstorm“ macht bei X keinen Sinn mehr, suggeriert die Metapher doch, dass temporär mit Dreck geworfen wird. Dem ist schon lange nicht mehr so. Der menschenverachtende Dreck ist dort omnipräsent; die Frage ist eher, ob du zwanzig oder zweihundert verletzende Angriffe pro Beitrag erhältst.
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Diese Hightech-Investoren stehen zusammen – hinter Trump
Wenn ich sage, ich werde dort nichts mehr schreiben, X erhält keinen einzigen Buchstaben mehr von mir, so fühle ich mich wie ein Raucher, der sagt, dass das jetzt wirklich die letzte Zigarette gewesen sei. Ich fühle mich aber nicht nur von der grassierenden Menschenverachtung abgestoßen. Seit dem Wochenende ist meine Distanz zu Elon Musk, der wesentlich dazu beigetragen hat, X zu einem Shithole zu machen, deutlich gewachsen.
Schon letzte Woche wurde klar, dass Musk den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump finanziell unterstützen wird und zwar mit einem „erheblichen“ Betrag. Jetzt wurden die Zahlen klarer: Jeden Monat will Musk 45 Millionen US-Dollar an „America PAC“ zahlen, eine Lobby-Gruppe, die Trumps Wahlkampf unterstützen soll. Musk stellte sich nach dem versuchten Attentat noch deutlicher hinter Trump. Und Musk ist nicht alleine. Es ist von der PayPal-Mafia die Rede. Seit langem ist bekannt, dass Peter Thiel, der mit Musk PayPal gründete, ein Unterstützer von Trump war. Das Verhältnis hat sich abgekühlt, er unterstützt Trump angeblich nicht mehr finanziell, sehr wohl aber noch ideell. Hinzu gekommen ist neben Musk nun auch David Sacks, der wie Musk aus Südafrika stammt und ebenfalls zur PayPal-Mafia gehört.
Und Sacks hat soeben, während ich diesen Artikel schreibe, bei X einen Aufruf gestartet. Er listet eine Reihe von Trump-Unterstützern aus dem Hightech-Investoren-Milieu auf und schreibt „Kommt rein, das Wasser ist warm“. Darunter ein Bild von Trump mit erhobenen Daumen:
Ben Horowitz, Bill Ackman, Cameron Winklevoss, Doug Leone, Elon Musk, Eoghan McCabe, Ken Howery, Kyle Samani, Marc Andreessen, Jacob Helberg, Joe Lonsdale, Palmer Luckey, Peter Thiel, Shaun Maguire, Trevor Traina, Tushar Jain, Tyler Winklevoss. Come on in, the water’s warm.
David Sacks am 17. Juli auf X
Thiel und Andreessen investieren in Privatstadtprojekte wie Pronomos Capital; Thiel und Lonsdale haben das Datenanalyse-Unternehmen Palantir Technologies mitgegründet. Zusammen mit dem Satellitenprojekt „Starlink“ und dem X-Shithole von Musk zeigen sich hier bereits Entwicklungen, die auf technologischer Ebene neue Formen von Faschismus ermöglichen könnten.
Was bringt Musk zu Trump?
Treibende Kraft dieser neuen Form von Faschismus wäre allerdings weniger die völkische Ideologie, als eher der sogenannte „Libertarismus“ oder „Anarchokapitalismus“. Beides sind falsche Begriff, die nur ausdrücken sollen, dass der Neoliberalismus als nicht radikal genug empfunden wird. „Proprietarismus“ (Eigentumsfanatismus) wäre der bessere Begriff. Meine Befürchtung ist, dass dieser Proprietarismus vor allem auch mit technizistischen Männerwahn-Heilserwartungen neue Elemente in einen postfordistischen Faschismus einbringen wird.
Mir ist unklar, warum Musk plötzlich so vehement Trump unterstützt. Vielleicht ist er durch Javier Milei auf den Geschmack gekommen. Milei, der sich selber auch „Anarchokapitalist“ nennt, verhökert gerade die Bodenschätze Argentiniens und Musk ist begeistert – aufgrund der Lithiumvorkommen für seine Tesla-Automobile. Beide wollen nun gemeinsam für „freie Märkte“ kämpfen.
Vielleicht ist es diese politische Ausrichtung, die Musk immer wieder die X-Beiträge der 23-jährigen Westfälin aus Münster-Handorf, Naomi Seibt, kommentieren lässt. Seibt wurde durch die gemeinsamen Besuche mit ihrer Mutter beim Hayek-Club Münsterland zur „Anarchokapitalistin“ sozialisiert. Als sie sich vor den Europawahlen für die AfD aussprach, fragte Musk sie naiv, warum denn die AfD immer als rechts dargestellt wird. Und als sie in einer Videobotschaft behauptete, dass der Satiriker El Hotzo nicht nur Trump, sondern auch Musk den Tod wünsche, zitierte Musk die Westfälin und kommentierte mit den Worten:
Someone wishing death on the leading US Presidential candidate and myself is paid to do so by the German government?
@Bundeskanzler, was ist das?
Elon Musk am 16. Juli auf X
Free Speech hat also doch Grenzen? Zunächst mal ist das, was Musk hier nicht schmeckt, der Geschmack von X. Aber warum fragt er den Bundeskanzler? Passende Erwiderung dazu von Natascha Strobl: „Ich möchte bitte mit dem Manager sprechen!!!!! Elon -Free Speech Absolutist- Musk“. Das schrieb sie übrigens nicht mehr bei X, sondern bei Bluesky. Ich kann allen nur einen Umzug dorthin empfehlen – oder zu Mastodon. Auch, wenn mir das nach 16 Jahren schwer fällt.