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Spicy 🍆, Le Dollar Bean, Unalive: Wtf ist „Algospeak“?

Um Einschränkungen durch automatische Algorithmen und Filtersysteme zu umgehen, nutzen immer mehr Menschen im Netz eine alternative Sprache: Algospeak. Was die wichtigsten Begriffe in politischen Kontexten bedeuten.

Während einer Demonstration gegen die Blockade von "Sensiblen Inhalten"auf Instagram und Facebook hält eine Person ein Schild hoch, auf dem steht (übersetzt): "Sensible Inhalte. Du musst nicht sehen, was in der Ukraine passiert."
Im Dezember 2022 protestieren Menschen in Berlin gegen Facebook und Instagram. Sie prangern an, dass die Plattformen Inhalte zum Krieg in der Ukraine verbergen und so Informationsfluss und Aufklärung verhindern. Foto: IMAGO / snapshot

Qveer, Le Dollar Bean oder Unalive: Was klingt wie Anwärter für das Jugendwort des Jahres, sind tatsächlich geheime Codes und Begriffe mit versteckten Bedeutungen. Man findet sie überall auf TikTok, Instagram und in weiteren sozialen Netzwerken. Die Begriffe sind Teil eines alternativen Sprachsystems, der sogenannten „Algospeak“. Dieses hat sich entwickelt, um die Filter von Algorithmen zu umgehen.

Überspringe den Hintergrund und komme hier direkt zur Übersicht der wichtigsten Algospeak-Begriffe.

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TikTok und Co. filtern nach „schädigenden“ Inhalten

An sich sind Filter in sozialen Netzwerken keine schlechte Sache. Der Jugendschutzfilter ist dafür das beste Beispiel. Werden bestimmte Begriffe genutzt oder zum Beispiel viel nackte Haut gezeigt, sorgt dieser dafür, dass diese Inhalte weniger oder gar nicht an Kinder und Jugendliche ausgespielt werden (zumindest in der Theorie). Es gibt aber auch noch andere Filter und Inhaltsbeschränkungen, die Instagram, TikTok und Co. ihren Nutzer*innen auferlegen.

Filter und Algorithmen

Wie die Algorithmen in sozialen Medien funktionieren, weiß außer den Betreiberfirmen niemand so genau. TikTok und Meta (der Mutterkonzern von Instagram, Facebook und WhatsApp) halten sich mit Informationen zu Funktionsweisen bedeckt. Viele Informationen dazu werden deshalb innerhalb der Communities durch Ausprobieren zusammengetragen.

Im letzten Winter kündigte Meta an, politische Inhalte auf seinen Plattformen Instagram und Threads (ein Kurznachrichtendienst analog zu Twitter) künftig nur noch gedrosselt anzeigen zu wollen. Wie genau er diese „politischen Inhalte“ definiert, legte er nicht offen – und sorgte damit für Kritik. Wer politische Inhalte weiterhin sehen möchte, muss sich in die teils ziemlich verschachtelten Einstellungen der Plattform begeben (wie das geht, erklärt zum Beispiel Matthias Schwarzer vom Redaktionsnetzwerk Deutschland).

„Shadow Banning“ soll Fake News reduzieren – unterdrückt aber auch Aufklärung und Aktivismus

Inzwischen haben Communities durch Versuche herausgefunden und gesammelt, was die Algorithmen von TikTok und Instagram nicht zu mögen scheinen: Sex, LGBTQIA*-Themen, Auseinandersetzungen mit Rassismus und Gewalt und eben generell politische Inhalte. Dabei macht es keinen Unterschied, wie die Videoproduzent*innen die Themen ansprechen. Auch, wie die Unternehmen diese Begriffe definieren und wie weit sie sie fassen, ist nur vage formuliert.

Die Folge: Beiträge oder ganze Profile mit entsprechenden Inhalten werden in den Vorschlägen oder auf den personalisierten „Für Dich“-Seiten der Nutzer*innen gar nicht mehr vorgeschlagen. „Shadow Banning“ nennt sich das. Übersetzt bedeutet das in etwa, dass jemand oder die Inhalte verdeckt, gesperrt oder „in die Schatten verbannt“ werden. Der Begriff „Algospeak“ für eine angepasste Sprache online geht auf die „Washington Post“-Redakteurin Taylor Lorenz zurück.

Meta und TikTok rechtfertigen ihr Vorgehen unter anderem damit, dass so die Verbreitung von Fake News und Hate Speech reduziert würde. Das mag vielleicht in der Theorie der Fall sein. Praktisch zensieren die Filter damit aber auch Inhalte, die zur politischen Aufklärung, Bildung und Inklusion beitragen oder Vielfalt darstellen. Denn oft werden auch Inhalte gedrosselt, die nur im weiterten Sinne etwas mit Politik zu tun haben – oder politisiert wurden: feministische und LGBTQIA*-Themen, Behinderung, Rassismus, Gewalt und die Klimakrise.

Content-Produzent*innen versuchen daher, mit Algospeak diese Filter zu umgehen, um ihre Inhalte an mehr Menschen auszuspielen und sie zu informieren. Vor allem rechte, antisemitische oder verschwörungstheoretische Akteure nutzen dafür schon lange die sogenannte „Dog Whistle Politics“, also „Hundepfeifenpolitik“, in Form von geheimen Codes. Algospeak ist nun ein Mittel von allen Nutzer*innen und Akteur*innen, sich die Informationsfreiheit auf ihren Plattformen zurückzuholen.

Die wichtigsten Algospeak-Begriffe

Aber was heißen die Schreibweisen und Begriffe denn nun? Manche lassen sich einfach erkennen, wenn man ein Mensch und keine Maschine ist: Durch eingebaute Sonderzeichen oder ausgetauschte Buchstaben werden phonetische oder optische Eigenschaften des Wortes imitiert. Bei anderen Begriffen muss man den Hintergrund kennen, um sie zu verstehen. Eine (unvollständige, weil sich ständig erweiternde) Übersicht über Algospeak-Begriffe.

Depressi0n: Filter-freundliche Schreibweise für Depression. Denn auch Beiträge über mentale Gesundheit unterliegen Filtern und Drosselung. Fatal für solche Creator*innen, die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und auf Hilfeangebote hinweisen möchten.

Slip’n’slide, su1cid3, Sewer Slide: Alternative Schreibweisen für Suicide, also Suizid.

unalived: Alternativer (englischer) Ausdruck für Tod, Sterben oder auch Mord (alive = lebend, unalive = unlebendig, Bsp: „He was unalived.“) oder ebenfalls Suizid (Beispiel: „He unalived himself.“). Gerade in der Berichterstattung oder politischer Aufklärungsarbeit über Terrorakte (Algospeak: „T3rr0r„), Kriegsverbrechen oder Mordfällen gebraucht.

R@ssismus: Alternative Schreibweise für „Rassismus“.

Ukr41n3: Eine von vielen möglichen Schreibweisen für „Ukraine“. Seit dem Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine werden auch immer wieder Inhalte, die sich auf den Krieg beziehen oder auf (russische) Kriegsverbrechen hinweisen, als „sensible Inhalte“ verborgen und gedrosselt. Unterstützer*innen der Ukraine benutzen außerdem das Sonnenblumen-Emoji 🌻 als Synonym und Erkennungssymbol.

Du kennst noch einen wichtigen Algospeak-Begriff, den wir hier nicht aufgeführt haben? Schick ihn uns an blog@campact.de und wir nehmen ihn mit auf!

Seggs, S3x: Filtergerechte Schreibweisen für Sex. Wird vor allem von queeren und Aufklärungs-Accounts genutzt, um weiterhin ihre Zielgruppe mit genderpositiven Beiträgen zu erreichen.

spicy 🍆 , spicy eggplant: Synonym für Vibrator. Ebenfalls vor allem in der Aufklärungsarbeit genutzt. Dem Begriff liegt eine weitere angepasste Schreibweise zugrunde: das Auberginen-Emoji (englisch: eggplant) als Symbol für einen Penis.

seggsuelle Gew4lt, s3ksu3ll3r G3w4lt o.Ä.: Verfremdete Schreibweise für „sexuelle Gewalt“. Vor allem Opfer von sexualisierter Gewalt oder Hilfeplattformen nutzen diese Schreibweise, um auf Missstände hinzuweisen, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen und Hilfsangebote zu platzieren.

le$bian: „lesbian“, also Lesbe oder lesbisch. Untertitelgeneratoren machen daraus auch „Le Dollar Bean“, daher wird dieses Wort, oder auch in Emoji-Form (Le💲🫘), als Synonym genutzt.

s<hwul, qveer: schwul und queer.

Ab0rtion: Angepasste Schreibweise für „Abortion“, also Abtreibung. Gerade im Jahr 2022 wurde dieser Begriff viel genutzt, als es in den USA um die historische „Roe vs. Wade“-Entscheidung ging.

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